Congo, mon amour

„Hallooo, du bist hier.“ Meine Frau winkt vor meinem Gesicht. „Hier, wieder in Deutschland.“ Ja, stimmt, körperlich schon, aber geistig nicht. Vor drei Tagen bin ich aus dem Kongo heimgekehrt. Es war nur eine Stippvisite, doch das Land hat mich gepackt.

Mit einem Jeep werden wir im Januar 2014 vom Flughafen abgeholt – nicht verkehrt angesichts der Straßen. Gefahren wird in dreieinhalb bis viereinhalb Spuren; das kann sich jeden Meter ändern. Mini-Busse flitzen durch das Blech-Labyrinth, rundum zerbeult; Fußgänger springen in die geöffnete Schiebetür, klammern sich ans Dach, strecken den Arm aus und reichen Geld ins Innere. Menschen rennen über die breite Straße, wo immer es geht. Unser Fahrer braucht höchste Konzentration. Durch dieses Getümmel geht es kilometerlang. So viele Menschen!

Drei neuapostolische Kongos

Wir erreichen die Kirchenverwaltung in Kinshasa mit ihrem hohen Metallzaun: Zeuge einer bewegten Vergangenheit, Schutz vor politischen Unruhen. Im Kongo, vormals Zaire, ist die Neuapostolische Kirche (NAK) seit Mitte des 20. Jahrhunderts aktiv. 1978 erhielt sie die staatliche Anerkennung.

Heute gibt es drei neuapostolische Kongos: in der Republik Kongo unter kanadischer Leitung sowie beim großen Nachbarn, in der Demokratischen Republik Kongo, die Arbeitsbereiche von Bezirksapostel Tshitshi Tshisekedi (Südosten) und Michael Deppner (Westen).

Work Group Africa bei der Arbeit

Im Verwaltungsbau tagt die Work Group Africa. Die Tagesordnung wäre ein dicker Papierstapel, doch gearbeitet wird mit Notebooks und Projektor. Nur mit dem Strom holpert es. Immer wieder fällt das öffentliche Netz aus, dann springt der kircheneigene Generator an. Satz um Satz arbeitet sich die Gruppe durch die „Fragen und Antworten“ zum Katechismus – und bleibt beim Thema Ehe hängen.

Voraussetzung für den kirchlichen Segen ist die staatliche Trauung. Diese ist in Teilen Afrikas an eine Heirat auf traditionelle Weise gebunden. Dafür muss der Mann häufig ein Brautgeld an die Eltern seiner Zukünftigen zahlen. Die Summen sind längst explodiert. Das Paar muss sich hoch verschulden oder ohne kirchliche Trauung zusammenleben. „Was sollen sie machen?“, fragt ein Mitglied der Arbeitsgruppe: „Sie wollen ja heiraten.“

Reich an Menschen, arm an Geld

Zurück im Hotel beobachte ich durchs Fenster das Gewimmel der Stadt. Eine alte Frau sitzt auf einer Obstkiste vor einem roh zusammengezimmerten Stand und verkauft etwas. Man könnte es für Plunder halten. Kunden sehe ich keine. Ein Junge, vielleicht 14, 15 Jahre alt, schleppt auf dem Kopf einen gefühlt zentnerschweren Plastiksack voller Wasserflaschen. Mit der einen Hand lässt er zwei Stäbe aufeinander knallen, mit der anderen bedient er seine Käufer.

Es sind unzählige Szenen wie diese, die den täglichen Kampf ums Überleben bedrückend spürbar machen. So viele Menschen! „So hoch wie bei euch die Arbeitslosenquote ist, so hoch ist bei uns die Beschäftigungsquote“, hat Bezirksapostel Deppner vorhin gesagt.

Der Kongo ist eines der ärmsten Länder der Welt. Das Einkommen liegt laut Weltbank kaufkraftbereinigt bei zwei Dollar pro Kopf und Tag – nur ein Zwanzigstel des globalen Durchschnitts. Dabei ist dieses Land nicht mal arm an Bodenschätzen. Doch Bürgerkriege haben die Wirtschaft zerrüttet.

Fast eine Drittel aller Kirchenmitglieder

Gottesdienst in Kinshasa, die Stadt, die allein acht Apostelbezirke hat: Hunderte Geschwister warten in der Kirche – alle in Schwarz-Weiß. Locker ebenso viele drängen sich vor den Lautsprechern rund um das Gebäude. Der Kongo ist das Land mit den meisten Kirchenmitgliedern. Etwa drei Millionen zählen die Gebietskirchen, fast ein Drittel aller neuapostolischen Glaubensgeschwister weltweit.

Berührt betritt Bezirksapostel Deppner das Kirchenschiff: Hinter dem Altar hängt erstmals ein Wandteppich. Den haben Jugendliche gemacht und angebracht, aus eigenen Mitteln. Bezirksapostel Tshisekedi dient mit: „Ich bin enttäuscht. Ich sehe keine freudigen Gesichter.“ Ui, klare Ansage. „Ich weiß auch, warum. Ihr habt Not. Ihr hofft auf bessere Verhältnisse. Aber darum geht es nicht. Hier geht es um eure Seele.“ Jetzt strahlen die Gesichter in der Gemeinde – bänkeweise.

Auch so klingt die Freude in Christus

Nach dem Gottesdienst singt der Chor ein Lied. Und noch eins. Und noch eins. Nach dem vierten Lied verabschiedet sich Bezirksapostel Deppner. „Wenn wir nicht gegangen wären, hätte der Chor noch zwei Stunden weitergesungen“, sagt er im Hinausgehen. Die Lieder stehen in keiner Mappe. Sie sind selbst gedichtet und selbst komponiert. Sie erzählen vom Evangelium Jesu.

Im Rohbau eines Hauses sind Tische gedeckt, ein Buffet ist angerichtet. Vom CD-Player spielt Pop-Musik. Komponiert und gedichtet haben arbeitslose Jugendliche, produziert aus eigenen Mitteln. Auch so kann die Freude in Christus klingen.

Es ist Zeit aufzubrechen. Ich muss mit aufs Gruppenbild. Einige Dutzend Fotos später sitzen wir im Auto. Ganz still schauen wir ihnen nach, wie sie uns hinterherwinken.

Ja, ich bin wieder zu Hause. Aber mit dem Herzen bin ich immer noch im Kongo.


Stammapostel Jean-Luc Schneider ist diese Woche in die Demokratische Republik Kongo aufgebrochen. Dort besucht er die Glaubensgeschwister in den Städten Goma, Bukavu und Bandudu Ville. Letzte Station dieser Rundreise ist am 19. Juli 2015 die Hauptstadt Kinshasa.

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