Viel mehr als ein Begleiter: Flüchtlinge sind Gott, dem Vater, besonders nahe, so sehr, dass sein Sohn sich ihnen gleich macht. Ein Blick in die Bibel zum heutigen Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen.
Zum Leben fehlt’s an allem. Der Mann nimmt seine Familie und flieht: Abraham. – Freiheitskämpfer oder Terrorist? Der Totschläger muss fliehen: Mose. – Machterhalt per Massenmord, Eltern fliehen mit dem Kind: Jesus. – Die Geschichte der biblischen Flüchtlinge und Fremdlinge erzählen? Das ist kaum möglich. Das Buch ist zu voll davon.
Die Flucht in Serie
Das fängt schon an bei den kleinen Geschichten der Einzelschicksale: Von einer Hungersnot rettet sich Isaak mit Familie nach Gerar und Jakob samt Sippe nach Ägypten. Als politisch Verfolgter flieht Elia in die Wüste und David nach Gat. Erst lebt Noomi als Fremde in der Heimat Ruts, dann lebt Rut als Fremde in der Heimat Noomis.
Und das hört bei den großen Leitmotiven der biblischen Geschichte längst nicht auf: das Heimweh der Verschleppten im babylonischen Exil, der epochale Auszug eines ganzen Volkes aus der ägyptischen Sklaverei und natürlich die allererste Vertreibung überhaupt – die aus dem Paradies. Das Alte Testament ist eine Historie der Flucht.
Eine prägende Erfahrung
Wer’s nötig hat, kann jede einzelne Begebenheit als Märchen abtun. Doch das ist unbestreitbar: Eine kollektive Erinnerung bezeugt die kollektive Erfahrung Und diese Vergangenheit prägt die Gesellschaft für Gegenwart und Zukunft.
Den Fremdling sollst du „nicht bedrücken und bedrängen“ (2. Mose 22,20), sondern rechtlich gleichstellen (4.Mose 15,15) und schließlich „lieben wie dich selbst“ (3. Mose 19,34). So und ähnlich lauteten die vielen Gebote, welche die Gesetzestexte der Mose-Bücher durchziehen.
Von Gott geliebt
Bemerkenswert sind die Begründungen. Zum einen: „Denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland“, heißt es in 5. Mose 10,19 zum Beispiel. Und obwohl die Menschen hier schlecht behandelt wurde, sollen sie nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, sondern es besser machen.
Zum anderen: „Der Herr behütet die Fremdlinge“ (Psalm 146,9). Und: „Der große Gott, (…) der die Person nicht ansieht, (…) hat die Fremdlinge lieb“ (5. Moses 10,17.18). Gott, das ist ein Gott der Flüchtlinge, ein Gott der begleitet und beschützt. Das beglaubigen die vielen Geschichten biblischer Einzelschicksale im Detail.
Gott macht sich gleich
Nichts davon nimmt das Neue Testament zurück – im Gegenteil, wie so oft geht es noch einen Schritt weiter. Hier ist es Gott selbst, der zum Flüchtling wird: Mit der Flucht vor dem Kindermörder Herodes teilt Jesus schon ganz am Anfang seines Menschenlebens diese Facette des Menschenschicksals.
Dass diese Identifikation kein Zufall, sondern eindeutige Botschaft ist, zeigt sich drei Jahrzehnte später, als Jesus den Jüngern seinen Maßstab als Weltenrichter erklärt. Und dazu gehört: „Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen“ (Matthäus 25,35).
Schutzbürger mit Pflichten
Du sollst den Fremden lieben wie dich selbst. Jeder für sich selbst kann – und muss – für sich entscheiden, wie er diesem Gebot folgt. Doch die Bibel stellt auch einen Anspruch an den Fremden. Das zeigt schon das hebräische Wort dafür: „ger“, das ließe sich auch als „Schutzbürger“ übersetzen. Er teilt nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten.
Entscheidend für die Beziehung zueinander ist die Beziehung zu Gott. Und da gibt es diese Gemeinsamkeit. Fremd sind im Endeffekt alle, sagt Psalm 119,19: „Ich bin ein Gast auf Erden.“ Denn die Heimat liegt woanders, ergänzt Philipper 3,20: „Wir aber sind Bürger im Himmel.“
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