Erst war das Licht und das Gute in der Welt. Dann kam das Böse, das entzweite, aber Gottes Liebe baut Brücken und bringt Menschen zusammen. Zu erleben war das auf ungewohnte Weise kürzlich in einer deutschen Kirche – mit Licht und Klang.
„Am Anfang war das Licht“ – die Stimme aus dem Off beschwört warmes pulsierendes Licht in das Kirchenschiff der Neuapostolischen Kirche Karlsruhe-Mitte (Deutschland). Die Menschen auf der Empore wissen gar nicht, wohin sie zuerst schauen sollen: hoch zur Kuppel, wo tausende Sterne glitzern, rüber zu den Kirchenfenstern, von wo aus Licht in die Kirche scheint, obwohl es draußen längst dunkel ist, oder zum Emblem über dem Altar, hinter dem es aussieht, als würde die Sonne aufgehen.
Gott, der Ursprung von allem
„Gottes wärmende Liebe lässt die Erde erstrahlen, setzt Meere und Flüsse in Bewegung, lässt Wälder und Wiesen erblühen, bringt Leben, Vielfalt und Schönheit hervor. Gedacht als grenzenlose Gemeinschaft in ewiger Harmonie“, sagt die Stimme. „Gott ist der Ursprung von allem“, erklärt Verena Potthoff später. Die Modedesignerin und Kulturwissenschaftlerin an der Hochschule in Karlsruhe und Chorsängerin und Blumenschmückerin in der Gemeinde Karlsruhe-Mitte hat die Licht- und Klanginstallation zum 125-jährigen Jubiläum ihrer Gemeinde Anfang Oktober mitentworfen. „Weil wir schon sowas als interdisziplinäres Projekt mit Studenten gemacht haben, dachte ich bei der Planung der Jubiläumsfeier: Komm, lass uns noch so einen Programmpunkt draufsetzen.“
Nachdem die Stimme verstummt ist, tönt Orgelmusik aus den Lautsprechern. Bald vermischt sie sich mit elektronischer Musik. Auch das kommt aus der Gemeinde heraus. Dirigent und Organist Bernd-Jürgen Kulick und sein Sohn Yann haben die Musik komponiert, die exakt zu dem passt, was man im Kirchenschiff sieht. Dieses wird nun immer heller und das kreisrunde Licht wandert höher im Kreuz, das für das Gute, Gottes Liebe und Macht steht.
Alle Elemente im Kirchenschiff sind miteinbezogen. Die Orgelpfeifen werden jetzt einzeln angespielt. Thomas Beisiegel, der Virtual Design studiert hat, ist nicht neuapostolisch, sagte aber Verena und ihrem Mann Werner Glas zu, ihnen bei der Inszenierung zu helfen, denn technisch würden die beiden nicht weit kommen.
Gemeinsam erstellen Verena, Werner und Thomas ein 3D-Modell des Kirchenschiffs. In Thomas‘ Programm sind dann alle Details festgelegt und er kann die Effekte in dem 3D-Raum planen. Als Grundlage dient ihm Verenas Text, den er wie eine Regieanweisung liest. Immer wieder sprechen die drei oder vier – Thomas‘ Freundin Jaqueline Kurzbach hilft auch mit. Die Musik gibt die Struktur vor. Die Effekte und Farben werden nachbearbeitet. Nächtelang waren Verena und die anderen in der Kirche.
Es soll eine gesamtästhetische Erfahrung sein. „Dass man das nicht nur sieht und hört und rational verarbeitet, sondern wirklich fühlt. Selbst, wenn man gar nichts darüber weiß, dass man doch spürt, was gemeint ist.“
Das Böse kommt in die Welt
Im zweiten Teil machen die unheimliche Musik und grelles kaltes Licht deutlich, dass das Böse in die Welt kommt. „Mit dem Einzug des Bösen verändert sich die treibende Kraft“, sagt die KI-Stimme, die Verena zu dem Zweck bearbeitet hat. „Sie entzweit, vernichtet, provoziert Konflikt und Streit, richtet die Menschen gegen Gott und gegeneinander, erfüllt die Herzen und überzieht die Erde mit Leid und Traurigkeit.“ Alle Konturen des Raumes scheinen sich aufzulösen, die Schatten bewegen sich unheimlich, wie eine Schlange kriechen sie über die Wände.
Verena macht sich Sorgen, wie der Teil beim Publikum ankommt. Vom Gemeindevorsteher hat sie zwar volle Rückendeckung, aber auch volles Vertrauen, er wollte die Inszenierung nicht mal davor sehen. „Ich war sehr beeindruckt von dem Engagement unserer Geschwister“, sagt Gemeindevorsteher Tobias Metz. „Es war faszinierend zu sehen, wie Ton und Bild Emotionen schafften und in diesem Fall die Bedeutung Jesus und sein Opfer über unser Emblem in einer Form zu vermitteln, wie ich es selbst noch nie gesehen habe.“
Bald gibt es aber eine Wendung: die Farben werden pastelliger und das Kreuz über dem Altar bekommt eine deutliche Struktur. „Am Anfang ist hier alles böse, nichts hat Bestand“, erklärt Verena, „aber durch die Kraft Gottes entsteht etwas Gutes. Manches entwickelt sich zum Guten und dann findet ein Kampf statt“ – dargestellt von verschieden Formen, die immer wieder aufeinandertreffen.
Auch in Verena stand ein innerer Kampf statt. „Überall gleich zu sagen, ich gehe sonntags in die Kirche, das ist nicht so ganz meine Stärke“, sagt sie. Doch kurz vor der Jubiläumsfeier berichtet sie in der Zeitung davon und von ihrem Glauben. „In einem Aufwasch, da brauchte ich gar nichts zu sagen.“ Mehrere ihrer Bekannten, die vorher von Verenas Engagement nichts wussten, kommen zu der Aufführung.
Das Gute siegt über das Böse
Mit friedlicher Musik und warmem Licht beginnt der dritte Teil: „Ein zarter warmer Strahl macht es offenbar: Gottes Liebe ist nicht vergangen. Sie ist, sie war und wird immer sein. Sie durchdringt das Dunkel, lässt Brücken entstehen. Sie heilt Wunden und macht die Hoffnung groß. Die Liebe zu Gott und seine Nähe zieht uns zum Guten, eint die Menschen ums Erdenrund und bringt Frieden weltweit.“ Warme Sonnenstrahlen kombiniert mit der friedvollen Musik geben dem Publikum ein gutes Gefühl. Überall scheint plötzlich Licht durch die Wände zu brechen. „Das steht sinnbildlich für Gottes Liebe. Das Böse verhärtet, macht Mauern. Und Gottes Liebe bricht diese Mauern. Gott vereint, schafft Verbindungen, lässt Brücken entstehen, bricht versteinerte Mauern auf“, erklärt Verena.
Auch die Licht- und Klanginstallation sollte eine Brücke sein zu den Bürgern der Stadt Karlsruhe. „Wir wollten, dass vielleicht welche kommen, einfach weil hier etwas Cooles geboten ist. Und dann einfach reinschnuppern und uns erleben und merken: Die, die da immer mit dem schwarzen Anzug in die Kirche gehen, die sind gar nicht so komisch, die sind total nett“, sagt Verena.