Bewegte Tage in Lesotho: „Ich habe aufgehört, Pläne zu machen“

Jan Schalk hat einen Doktortitel in Agrarwissenschaften. Er arbeitet zurzeit als Entwicklungshelfer für „Brot für die Welt“. Sein derzeitiger Stützpunkt ist Maseru, die Hauptstadt von Lesotho. Wir haben ihn interviewt. Hier sein Porträt:

Dr. Jan Schalk, stellen Sie sich bitte kurz vor?

Am 15.11.1978 wurde ich in Bielefeld geboren, wo ich auch aufwuchs und die Schule besuchte. Ich bin ledig und habe keine Kinder. 2005 schloss ich mein Hochschulstudium im Studiengang Technischer Umweltschutz als Diplom-Ingenieur ab. Da mich speziell das Thema erneuerbare Energien sehr begeistert hat, machte ich anschließend einen Master in Erneuerbare Energien und Energieeffizienz an der Universität Kassel.

Es folgte eine Position als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn. Das zu bearbeitende Thema der solaren Trocknung von Holz als Brennstoff gab inhaltlich genug her, um darüber eine Dissertation zu verfassen, die ich im Januar 2017 abschloss.

Das klingt wie eine typische Universitätskarriere.

Nein, es kam anders. Ich habe mich zunächst umgeschaut und stieß im Internet auf zwei interessante Stellenausschreibungen bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Die eine Stelle war für Nepal, die andere für Vietnam ausgeschrieben. Nach kurzem Überlegen bewarb ich mich für Nepal. Wenige Tage später erhielt ich die Einladung zum Vorstellungsgespräch. Bereits am Ende des Tages wurde mir der Job angeboten. Nach einer zweimonatigen Vorbereitung in der Akademie für Internationale Zusammenarbeit (AIZ) in Bad Honnef, stieg ich in den Flieger nach Nepal, wo ich zwei Jahre lebte und arbeitete.

Heute leben Sie nicht mehr in Nepal, sondern in Lesotho. Wie kam das, und wie lange werden Sie dort bleiben?

Nach meiner Rückkehr aus Nepal schloss ich zunächst meine Promotion ab, bevor ich wieder anfing, mich zu bewerben. „Brot für die Welt“, ein evangelischer Entwicklungsdienst, bot mir eine dreijährige Position in Lesotho an. Dem habe ich zugestimmt, da Lesotho ein recht friedliches Land ist und ich mich frei im ganzen Land bewegen kann. Zudem sind alle Gegenstände für den täglichen Bedarf aufgrund der Nähe zu Südafrika erhältlich, was natürlich die Lebensqualität enorm steigert.

Mein dreijähriger Vertrag läuft noch bis Ende Juni 2020. Es gibt die Möglichkeit, noch einmal um weitere drei Jahre zu verlängern. Noch kann ich das nicht absehen, die Entscheidung wird wohl erst Ende 2019 fallen.

Was machen Ihre Auslandsaufenthalte mit Ihnen? Hat sich Ihr Weltbild dadurch geändert?

Grundsätzlich fällt es mir leicht, auf Mitmenschen zuzugehen. Natürlich weiß man im Vorfeld nie genau, wie man als Fremder in einem Land aufgenommen wird. Sowohl Nepal als auch Lesotho haben mich durch die Herzlichkeit und Freundlichkeit der lokalen Bevölkerung stark beeindruckt. Es gibt in diesen Ländern tatsächlich eine Willkommenskultur, und die muss nicht erst politisch erörtert werden! Sie ist einfach vorhanden.

Nepal ist eines der ärmsten Länder in Asien, Lesotho eines der ärmsten in Afrika. Trotzdem sind die Menschen glücklich, lachen viel und werden durch ihre Gemeinschaften unterstützt und aufgefangen. Jedes Mal, wenn ich nach Deutschland zurückkehre, treffe ich Menschen, denen es augenscheinlich zwar an nichts fehlt, die aber dennoch viele Sorgen zu haben scheinen. Freundlichkeit und Herzlichkeit bleiben dabei auf der Strecke.

Mein Alltag hier ist äußerst interessant: Ich erkenne jeden Tag neu, dass meine westliche Vorstellung, wie etwas im Leben oder bei der Arbeit ablaufen sollte, sich häufig anders entwickelt. Die Art des Umgangs miteinander, die Traditionen und kulturellen Hintergründe sind zum einen unumgänglich, damit jeder aufgefangen werden kann. So wird zum Beispiel am Arbeitsplatz nur selten jemand gekündigt. Stattdessen bekommt die Person eine andere Position – so hat die Familie mehr Sicherheit. Andererseits sind viele Traditionen nicht mehr zeitgemäß oder behindern sogar den Fortschritt: Das patriarchalische System oder die extrem strengen Hierarchien zum Beispiel.

Ich wünsche mir mehr Toleranz unter den Menschen. Manchmal denke ich, dass jeder tun und lassen möchte, was er oder sie will. Wenn wir aber alle auf diesem Planeten zusammenleben wollen, brauchen wir entweder ganz hohe Mauern, damit jeder in seiner Parzelle leben kann, oder wir versuchen es mit Toleranz. Ich würde mich freuen, wenn in den Schulen solche Fächer wie „Gewaltfreie Kommunikation“ und „Interkulturelle Kompetenz“ unterrichtet würden.

Wie sieht Ihre Zukunft aus? Wie und wo wird es für Sie weitergehen?

Ehrlich gesagt: ich habe noch keine Ahnung. Zunächst würde ich gern meinen Arbeitsvertrag verlängern, denn es gibt noch viel zu entwickeln hier in den ländlichen Gebieten in Lesotho. Andererseits würde ich mich auch über eine Anstellung in Deutschland freuen. Ich könnte mich durchaus mit dem Gedanken anfreunden, meine Bücher, CDs und Schallplatten in ein Regal zu stellen und anzuhören. Aber wo die Reise hingeht, weiß nur einer. Ich habe aufgehört, Pläne zu machen. I’m going with the flow.

Wie sind Sie in der dortigen neuapostolischen Gemeinde integriert? Haben Sie auch privaten Anschluss gefunden? Wie sind die Gottesdienste so?

Ich bin sofort integriert worden. Das lag an der durchaus überschaubaren Anzahl der regelmäßigen Gottesdienstbesucher: drei. Die Gemeinde hatte längere Zeit keinen Priester, nachdem der letzte Vorsteher zur Ruhe gesetzt wurde. Meist wurden die Gottesdienste dann von dem Diakon der Gemeinde gehalten. Inzwischen aber hat die Gemeinde wieder einen Priester, der in die Nähe gezogen ist. Priester Mothe, so heißt er, kommt mit seiner Familie ursprünglich aus der Demokratischen Republik Kongo. Seine erste Sprache ist Französisch. Es war deshalb nicht ganz leicht für ihn, die Gottesdienste auf Englisch zu halten.

Privaten Anschluss habe ich sehr leicht gefunden. Mit Priester Mothe treffe ich mich ab und zu privat, und bei der derzeitigen Innenrenovierung der Gemeinde arbeiten einige Gemeindemitglieder mit.

Die Gottesdienste sind vor allem im Winter kalt! Die Gemeinde hat noch keinen elektrischen Strom, eine Heizung gibt es nicht. Auch wenn es keiner glaubt, aber ich habe selten so gefroren wie in Afrika. Ansonsten finde ich es schön, dass der Bischof und der Bezirksevangelist recht regelmäßig Gottesdienste halten. Auch der Apostel war bereits in Maseru.

Was unterscheidet die dortige Gemeinde von anderen, die Sie kennen?

Eigentlich ist alles anders: Es gibt hier keine Orgel und auch keinen Spieler. Derzeit versucht also ein Gemeindemitglied, den passenden Ton bestmöglich zu imitieren, während alle anderen allmählich einsteigen. Ich versuche mein Bestes, auf Sesotho mitzusingen, aber ich klicke besser mit einer Computermaus als mit der Zunge. Mit unserem Vorsteher habe ich neulich die Anschaffung eines CD-Players besprochen. Das könnte helfen, den Originalmelodien in unserem Gesangbuch näher zu kommen.

Das Kirchengebäude ist in einem schlechten Zustand. Für die Renovierung der Innenräume setze ich mich gerade etwas ein. Dafür erhalte ich Unterstützung von Geschwistern. Der Bischof hat uns zudem die Außenrenovierung zugesichert. Demnächst erfolgt der Stromanschluss. Dann können auch am Mittwochabend Gottesdienste stattfinden. Da es hier immer recht früh dunkel wird, brauchen wir abends Licht.

Wie lautet Ihr Fazit nach all den Jahren? Würden Sie es wiederholen?

Wiederholen? Nein. Wenn ich Wiederholung wollte, wäre ich falsch in diesem Beruf. Ja, ich möchte noch eine Weile in Lesotho bleiben. Aber auch in Uganda war ich bereits, und Westafrika scheint mir auch recht reizvoll. Sollte dies nicht möglich sein, könnte ich mich auch mit Südamerika anfreunden. Der amerikanische Kontinent ist der letzte, den ich noch nicht besucht habe. Das reizt mich schon, und am besten lernt man Land und Leute kennen, wenn man sich eine Weile niederlässt.

Danke für Ihre Antworten, Bruder Schalk.

Artikel-Infos

Autor:
Datum:
Schlagworte:

Peter Johanning
07.05.2019
Lesotho, Hilfswerke, Soziales Engagement