Seelsorge (04) – Erst ich, dann der Nächste

In der Ruhe liegt die Kraft, das weiß die Menschheit seit jeher. Seelsorgende brauchen immer wieder einmal gut genutzte Ruhepausen und ein offenes Ohr.

„Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen“ (Matthäus 25,35.36).

Die Worte Jesu machen deutlich, dass Seelsorge vielschichtig ist. Sie lassen aber auch erahnen, dass Seelsorge langfristig nur der leisten kann, der etwas zu geben in der Lage und nicht selbst kraftlos, krank und eingesperrt ist.

Sorge haben, nicht nur um den Nächsten, sondern auch um die eigene Seele – das ist Aufgabe jedes Seelsorgenden. Jahrtausendalte Ratschläge, die auch heute noch aktuell sind:

Abstand nehmen: „Und er (Jesus) sprach zu ihnen: Geht ihr allein an eine einsame Stätte …“ (aus Markus 6,31). Nach einer Zeit der besonderen Anstrengung sollten sich die müden und erschöpften Mitarbeiter an einem ruhigen Ort erholen. – Für eine Zeit zurückziehen, einmal nicht mittendrin sein, das ist wichtig, um die eigenen körperlichen und geistigen Kräfte dauerhaft zu erhalten. Denn: Niemand soll sich über Gebühr strapazieren, nur funktionieren oder aus einer falsch verstandenen Verantwortung gar innerlich ausbrennen und dann nichts mehr tun können.

Bewusst ruhen: „Und er (Jesus) sprach zu ihnen: (…) und ruht ein wenig“ (aus Markus 6,31). – Zwischen aller Arbeit ist eine Pause notwendig, um neue Kräfte zu generieren. Damit ist keinesfalls eine tagelange Abstinenz von wichtigen Aufgaben gemeint. Aber eine bewusste und aktive Ruhephase vor und nach der Seelsorge ist für den Seelsorgenden wichtig. Er selbst und der Nächste profitieren davon. Jesus ruft seine Jünger in dieses bedeutsame, innere Gleichgewicht.

Perspektive gewinnen: „Nicht dass wir Herren wären über euren Glauben, sondern wir sind Gehilfen eurer Freude; denn ihr steht im Glauben“ (2. Korinther 1,24). Das gilt für alle Seelsorgenden: mit und ohne Amt, Jung und Alt, Frauen und Männer. Seelsorge begleitet in unterschiedlichsten Lebenssituationen, Seelsorge führt zu Gott und Seelsorge ist auch praktische Lebenshilfe (Katechismus der Neuapostolischen Kirche (KNK) 12.4). Aber Seelsorge bestimmt nicht, fordert nicht, herrscht nicht. Diese Perspektive immer wieder neu zu erkennen, das ist Sorge der Seelsorgenden.

Gehört werden: Wenn vom Seelsorgenden mehr verlangt wird, als er geben kann oder wenn er bereits mehr gegeben hat, als er hatte ... dann ist wichtig, dass der Seelsorgende selbst Seelsorge in Anspruch nimmt. Auch er ist Mensch, hat das Bedürfnis nach „gehört werden“. Seelsorgende hören zu, aber sie sollen auch gehört werden.

Apostel Paulus wies auf die besondere Anforderung hin, nicht nur den Nächsten im Blick zu haben und sich in der Seelsorge zu verzehren. Er forderte damals ausdrücklich auf: „So habt nun acht auf euch selbst und auf die ganze Herde“ (Apostelgeschichte 20,28). Wenn der Seelsorgende sich selbst im Blick behält, mit sich selbst im Reinen ist, wenn er seine körperlichen und geistigen Kräfte dauerhaft erhält, dann kann er sich kraftvoll und mit Liebe um den Nächsten sorgen.

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (3. Mose 19,18) – das Gebot endet nicht nach dem dritten Wort!



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Oliver Rütten
23.07.2020
Soziales Engagement, Gemeindeleben