Alter verpflichtet
Ein neuapostolisches Kirchengebäude, das 350 Jahre alt ist – das gibt es nicht so oft. Im Bielefelder Stadtteil Schildesche steht ein ehrwürdiges Baudenkmal, das bis heute verpflichtet. Ein Ausflug in die Geschichte.
Schildesche, das bedeutet so viel wie schildförmiges Saatfeld. Und in der Tat: Auf eine gute Aussaat kann eine gute Ernte folgen. So auch hier: Vor 1200 Jahren wird eine kleine Kapelle errichtet, die „Kerken Johannes over den Dieken“ (Johanneskirche oberhalb der Teiche). Ihre Steine werden gut 860 Jahre später als Baumaterial für eine neue Kirche genommen. Wie kam es dazu? Im 10. Jahrhundert gründete eine vermögende Witwe auf ihrem Hof ein Stift für fromme Damen. Sie nannten sich Kanonissen – religiöse Damen mit gemeinsamer Unterkunft. Es entstand eine klosterähnliche Anlage mit acht Höfen. Marswidis reist nach Rom und gelangt in den Besitz einiger Reliquien von Johannes dem Täufer. Die Johannes-Kapelle wurde zu einer Stiftskirche und fiel vermutlich um 1250 einem Brand zum Opfer.
Aus einer Gemeinde werden drei
Dramatischer noch waren die Umwälzungen durch die Reformation. Sie kam Mitte des 16. Jahrhunderts mit ihren immensen gesellschaftlichen und kirchlichen Auswirkungen nach Schildesche. Die katholische Einheit des Stifts wurde Geschichte. In einem Religionsvergleich kam es 1672 zur Aufteilung des Stifts Schildesche: Von nun an hatten die Stiftsdamen jeweils zu einem Drittel evangelisch-lutherisch, evangelisch-reformiert und römisch-katholisch zu sein. Die Letzteren brauchten ein neues Gotteshaus, die eingangs erwähnte Johannes-Kapelle.
Viel Glauben, wenig Geld
1686 durften sie die alte Johannes-Kapelle abbrechen und auf eigene Kosten an einen anderen Ort in Schildesche versetzen. Dies ist die eigentliche Geburtsstunde des heutigen Kirchengebäudes! Am neuen Standort sollten zusätzlich eine Schule und eine Küsterwohnung entstehen, doch fielen diese Pläne dem finanziellen Rotstift zum Opfer. Es fehlte an allen Ecken und Kanten, die katholischen Stiftsmitglieder waren nunmehr eine Minderheit. Die evangelischen Stiftsdamen gaben ihnen weder Kerzenwachs noch Hostien oder Wein – die finanziellen Probleme waren groß. Doch schließlich konnte am 6. Juli 1688 der Grundstein für die neue Kapelle gelegt werden. Er trägt die Initialen „JMJ“ – Jesus, Maria, Johannes.
Noch im selben Jahr war das Mauerwerk fertiggestellt und schon im Winter 1688 konnte der erste Gottesdienst für die kleine Gemeinde gefeiert werden. 1694 kam es zur offiziellen Weihe durch den zuständigen Generalvikar Jodokus Frihoff. Bis ins Jahr 1912 wurde die Johannes-Kapelle als katholisches Gotteshaus genutzt. Danach wurde sie geleert: die Barock-Pieta, der Altar und das Reliquien-Kästchen wurden zunächst in die neugebaute Katholische Kirche am Ort gebracht. Die Stadt Bielefeld übernahm vorübergehend das mittlerweile denkmalgeschützte Gebäude, um es vor dem Verfall zu retten.
Neuer Besitzer, neues Leben
1950 zieht wieder neues Leben in das Gebäude ein: Die Neuapostolische Kirche mietet die Kapelle für ihre Gottesdienste an. Schließlich werden Grundstück und Kirche 1987 von der Stadt Bielefeld gekauft. Bauliche Erweiterungen müssen jeweils vom Denkmalamt genehmigt werden, das aber den Anbau von Gemeinschaftsräumen erlaubt. Ein transparenter, mit Glas erbauter Durchgang verbindet den neuen Trakt mit der alten Kapelle. Am 16. Dezember 1990 kommt der damalige Bezirksapostel Hermann Engelauf zum Weihegottesdienst.
Eine lange Geschichte, die bis heute anhält.
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Peter Johanning
13.08.2020
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