Engländer bezwangen nicht nur als erste Schweizer Berggipfel, sondern erbauten auf ihren Auslandsreisen auch Kirchen in der Alpenregion. Eine davon ist heute im Besitz der Gemeinde Montreux.
Vier Kilometer von Schloss Chillon entfernt, direkt am Ufer des Genfer Sees und inmitten der schweizerischen Bergwelt gelegen – die Kirche Montreux hat einen prominenten Standort. Die alpine Urlaubsregion ist gut besucht und davon profitiert auch immer wieder die Gemeinde vor Ort. „Während ihres Urlaubs erhalten wir regelmäßig Besuche von Brüdern und Schwestern aus den Nachbarländern“, berichtet der frühere Gemeindevorsteher Paul Droz. Und diese Gäste staunen meist über das Kirchengebäude und das gut erhaltene Original-Inventar aus dem 19. Jahrhundert.
Kurgäste, Sportler und Architekten aus England
„Reisen durch die merkwürdigsten Gegenden Helvetiens“, titelte 1778 eine Publikation von Gottlieb Siegmund Gruner in London (Großbritannien) über die Schweiz. Wenige Jahre später, Anfang des 19. Jahrhunderts, bereisten englische Botaniker und Geologen das Alpenland, um die Hochgebirgswelt an Ort und Stelle zu erforschen. Kurz drauf folgten britische Touristen und Sportler. So war es dann auch ein Engländer, der 1865 das 4478 Meter hohe Matterhorn, einen der höchsten Berge in der Alpenwelt, erstbestieg.
Zeitgleich mit den Anfängen des englischen Tourismus im Alpenraum entstanden in der Schweiz auch die ersten englischen Kirchengründungen: Die Urlauber wollten auch hier ihre Gottesdienste feiern können. In Zermatt kamen sie 1858 zu einem ersten englischen Gottesdienst zusammen und zwölf Jahre später, im Jahr 1870, gab es dort auch die erste anglikanische Kirche in der Schweiz. Es folgten weitere Bauten in Grindelwald, Pontresina und Chamonix – allesamt bevorzugte Kurorte.
Gebaut, verlassen und wieder genutzt
Nur 70 Kilometer vom Matterhorn entfernt liegt die Stadt Montreux; ein Kurort, im Südwesten der Schweiz, mit heute etwa 25.000 Einwohnern. 1875 errichtete hier direkt am Seeufer ein unbekannter Architekt im Auftrage der Ecclesiological Society eine anglikanische Kirche. Damals lebten in Montreux gerade einmal 3000 Menschen.
Nach dem zweiten Weltkrieg nahmen die Urlauberströme aus Großbritannien ab, letztlich schloss die anglikanische „Christ Church“ 1965 ihre Türen. Die Neuapostolische Kirche bekundete Kaufinteresse, am 22. Dezember 1975 unterzeichnete Apostel Hermann Hänni den Kaufvertrag.
Aber die neuapostolische Gemeinde benötigte weitere Räumlichkeiten. Daher plante der neue Eigentümer zunächst, beantragte und erhielt dann – auch nach Prüfung durch Experten des Denkmalschutzes – die Baubewilligung für Nebenräume. Am 13. Mai 1979 weihte Stammapostel Hans Urwyler die umgebaute Kirche. Nach 14 Jahren Pause feierten Gläubige wieder Gottesdienst in der 100-jährigen Kirche.
940 Pfeifen – drei Dutzend ohne Klang
Eine große Pfeifenorgel schmückt und füllt das Kircheninnere. Aus 940 Pfeifen besteht der mächtige Prospekt. 120 Pfeifen sind mit dem Pedal verbunden, 392 gehören zum ersten und 392 zum zweiten Manual. 36 Pfeifen sind heute nicht mehr aktiv; sie gehören zu den 51 Pfeifen des ursprünglichen Orgelprospekts.
Erkennbar englische Bauepoche
2011 fusionierten die Gemeinden Montreux und Vevey mit dem Ziel, die Gottesdienste künftig gemeinsam in der Kirche in Montreux zu feiern. Aufgrund dessen wurde 140 Jahre nach Kirchenbau das Gebäude grundlegend „saniert und heutigen Bedürfnissen angepasst“, erläuterte die Neuapostolische Kirche Schweiz. Nach drei Jahren Bauzeit konnte die neue Gemeinde Montreux am 8. März 2015 die renovierte Kirche wieder beziehen. 180 Gottesdienstteilnehmer kamen in das ehrwürdige Gebäude, als Bezirksapostel Markus Fehlbaum den Weihegottesdienst feierte.
„Der Grundriss unserer Kirche umschreibt einen einfachen Saalbau mit Querhaus, eingezogenem, rechteckigen Chor und asymmetrischer Turmstellung“, ist in der Chronik der Gemeinde zu lesen. Englisch sei auch die Vorliebe, den Grundriss zu verkomplizieren, etwa durch die – zwischen Querhaus und Chor gesetzte – Sakristei und den vorspringenden Nebeneingang. Auch die äußere Wandgestaltung mit Sichtmauerwerk und der geradlinige Chorabschluss seien charakteristisch für die englische Bauepoche.
Denkmal und Gotteshaus
Das neogotische Gebäude mit Kreuzgrundriss ist Teil des kantonalen Erbes des Waadtlandes und damit Denkmal von regionalem Interesse. Dies insbesondere auch wegen der Glasmalerei in den Buntglasfenstern.
Sechs Priester und sechs Diakone sind in der Gemeinde seelsorgerisch aktiv. 160 Gemeindemitglieder kommen zu den Gottesdiensten zusammen: Und die sitzen immer noch auf den originalen Kirchenbänken und können Kirchensaaldecke und Holzarbeiten aus dem 19. Jahrhundert bewundern. Auch die Fenster sind im Original erhalten geblieben; sie zeigen historische Malereien.
Bewundert wird die Kirche aber nicht nur von den Mitgliedern der Gemeinde Montreux und den regelmäßigen Urlaubern. Zwischendurch besucht auch einmal ein Stammapostel die Kirche; wie zuletzt im Oktober 2016, als Stammapostel Jean-Luc Schneider mit Chor und Geschwistern in der Avenue Claude Nobs 10 zu einem Konzert zusammenkam.