Zum stillen Freitag: Eli, Eli, lama asabtani

Der Freitag vor Ostern ist ein stiller Tag. Wer je Trauer empfunden hat weiß, dass Stille guttut. Und getrauert haben die Weggefährten Jesu damals. Sie mussten mitansehen, wie ihr Meister gequält, gekreuzigt, getötet wurde. Diesen Horror erlebten sie aus nächster Nähe…

Eigentlich liegt dem Karfreitag ein gutes Motiv zugrunde: „Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?“ (Lukas 24,26). Ja, musste er. Als Feststellung liest sich das so schmerzlos theoretisch. Im Erleben fühlt es sich ganz anders an. Wer aber jemals in seinem Leben „in echt“ verprügelt, gequält, terrorisiert und gedemütigt wurde, hört solche Frage mit zwei unterschiedlichen Ohren. Ja klar: Ende gut, alles gut – aber leiden will niemand wirklich.

Die Geschichte vom leidenden Christus ist schnell erzählt, die Evangelien im Neuen Testament berichten darüber. Es sind seltsam distanziert anmutende Verse, in denen die Brutalität des Geschehens kaum zum Ausdruck kommt. Man hätte das auch ganz anders formulieren können:

  • Statt „Pilatus sprach zu den Hohenpriestern und zum Volk: Ich finde keine Schuld an diesem Menschen. Sie aber beharrten darauf und sprachen: Er wiegelt das Volk auf damit, dass er lehrt im ganzen jüdischen Land, angefangen von Galiläa bis hierher.“ (Lukas 23,4.5) – Ist es nicht merkwürdig, wenn du plötzlich spürst, dass Fremde zu dir halten, während dich deine Nachbarn, dein eigenes Volk verrät? Was zählt da noch die gleiche Abstammung, auf die doch gerade die Juden bislang so viel gesetzt haben? Abneigung im eigenen Haus tut weh!
  • Statt „Da schrien sie alle miteinander: Hinweg mit diesem! Gib uns Barabbas los!“ (Lukas 23,18) – Ist es nicht schlimm, wenn Menschen am Straßenrand skandieren, sich ereifern, sich jemandes Tod wünschen, jemand zum Freiwild erklären? In welcher Welt leben solche Zeitgenossen eigentlich? Als wäre Lautstärke das bessere Argument. Einer von ihnen, ein Unschuldiger, soll getötet und stattdessen ein verurteilter Mörder freigelassen werden? Welch eine Verirrung. Argumente zählen nicht mehr. Geschrei und Tumult sind lauter.
  • Jesus wird gegeißelt – heftig geschlagen, bedeutet das. Ausgepeitscht, bis die Haut platzt und das Blut spritzt. Ordentlich wehtun soll es. Die Schreie eines so Geschundenen lösen Freude aus. „Verdient hat er’s“? Nur: womit eigentlich?
  • Jesus wird ausgezogen – in aller Öffentlichkeit, vor versammelter Mannschaft, seiner Rechte auf Unversehrtheit beraubt. Was kümmert es die Peiniger, wenn eine Erniedrigung zur nächsten kommt. Wie im Rausch geht es weiter. Die Gewalt wird zur Droge.
  • Jesus wird durch die Straßen der Stadt gepeitscht – zur Schau gestellt, heißt das. Eine blutende Schaufensterpuppe, an der sich alle ergötzen. Das Holzkreuz wiegt schwer auf seinen aufgeplatzten Wunden, jeder Schritt ist Höllenschmerz. Sie lachen, schlagen nach ihm, spucken ihn an, gaffen ihm nach. Schreiende Affen in Menschenkleidern.
  • Noch unter dem Kreuz verspotteten sie ihn, die Oberen und auch die Soldaten. Spott ist eine schlimme Form von Diskriminierung. Ein Spötter verachtet, verhöhnt, verwirft, grenzt aus. Hohn kennt kein Pardon, öffnet Aggressionen Tür und Tor. Wenn Worte töten könnten… Können sie aber nicht, der Tod kommt anders: langsam, erst nach Stunden. Gebrochene Beine, mit Nägeln durchschlagene Hände, der geschundene Körper ohne Sitzfläche an einen Längsbalken befestigt, Arme, die immer länger werden, umnebelte Sinne, Kreislaufkollaps, Zusammenbruch innerer Organe.

„Von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. Die andern aber sprachen: Halt, lasst uns sehen, ob Elia komme und ihm helfe! Aber Jesus schrie abermals laut und verschied“ (Matthäus 27,45-50).

Stille tritt ein, endlich Stille…


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Peter Johanning
15.04.2022
Kirchliche Feiertage, Karfreitag