Auf den „Einheitsvater“ folgte der Organisator und Beschützer der neuapostolischen Einheit: Stammapostel Hermann Niehaus, dessen Heimgang sich am 23. August zum 90. Mal jährt – wie der Landwirt den Kirchenacker bestellte.
Im gewissen Sinne war er sogar der erste Stammapostel der neuapostolischen Gemeinden. Als Begründer dieses Amtes wird zwar sein Vorgänger Friedrich Krebs angesehen, den seine Zeitgenossen gerne „Einheitsvater“ nannten. Doch offiziell verankert ist die Amtsbezeichnung erst nach dessen Tod – in der Satzung von 1906, die bereits die Handschrift dessen Nachfolgers trägt.
Als Evangelist zum Sprachunterricht
Hermann Christoph Niehaus war am 28. Juli 1848 in Steinhagen (Deutschland) geboren worden und in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Schon früher musste er auf dem elterlichen Hof mitpacken und entwickelte mit Fleiß und Ausdauer das landwirtschaftliche Gut zu einem ansehnlichen Anwesen.
Mit der christlichen Religiosität seiner Familie hatte er zunächst nicht viel am Hut. Allerdings zählte er zu den begeisterten Zuhörern des Friedrich Wilhelm Menkhoff, der als Evangelist der neuen apostolischen Gemeinden nach Westfalen gekommen war. So empfing Hermann Niehaus zusammen mit seinen Eltern das Sakrament der Heiligen Versiegelung, als Apostel Friedrich Wilhelm Schwarz am 2. August 1868 erstmals nach Bielefeld kam.
Eine Woche später wurde er zum Diakon gesetzt, ein Jahr darauf zum Evangelisten ordiniert. Um predigen zu können, nahm er Nachhilfe in Hochdeutsch. Denn in der Schule hatte er nur Plattdeutsch gelernt. Über weitere Stationen führte ihn seine kirchliche Laufbahn am 21. Juni 1896 ins Apostelamt. 1898 bestimmt Friedrich Krebs ihn zu seinem Nachfolger an der Spitze der Kirche. Sieben Jahre später starb der Einheitsvater.
Grundlagenarbeit im Akkord
Als Hermann Niehaus das Stammapostelamt übernimmt, macht er sich voller Tatkraft an die Arbeit:
- Bereits 1905 bereist er alle Apostelbezirk in Deutschland, strukturiert die Arbeitsbereiche neu und ordiniert drei weitere Apostel.
- 1907 startet in den örtlichen Vereinsregistern die Umbenennung zur „Neuapostolische Gemeinde“.
- Ab 1907 erscheint das „Sonntagsblatt“, das 1909 in die „Neuapostolische Rundschau“ übergeht. 1927 wird die Gründung der Hausdruckerei beauftragt, aus der sich der Kirchenverlag entwickelt.
- 1908 kommt mit dem „Hülfsbuch“ erstmals Lehrmaterial für kirchliche Kinderunterrichte heraus. 1916 folgt mit dem „Lehrbuch für den Religionsunterricht“ der Vorläufer von „Fragen und Antworten“.
- 1909 bis 1913 publiziert die Kirche mehrere Abwehrschriften gegen Streitschriften, die vornehmlich aus dem protestantischen Bereich kommen.
- Ab 1914 erhalten die Soldaten im Ersten Weltkrieg das Abendmahl in Form von Hostien, die mit Wein beträufelt sind. Daraus entwickelt sich 1919 die allgemein verbindliche Kombi-Hostie.
- 1921 erhält die neuapostolische Kirche den Status als Körperschaft öffentlichen Rechts in Baden, 1925 in Hamburg.
Apostel auf eigenen Wegen
Die Zentralisierung von Organisation und Lehre bleibt nicht ohne Folgen: Apostel Heinrich Friedrich Niemeyer (Australien) und dessen Ziehsohn Carl Georg Klibbe (Südafrika) trennen sich in den frühen 1910er Jahren von der Einheit der Apostel. So entsteht down under die „Apostolic Church of Queensland“ und am Kap die Old Apostolic Church.
Unterdessen geraten Anfang der 1920er Jahre zwei ausgemachte Führungspersönlichkeiten über Kreuz: Apostel Carl August Brückner (Dresden) drängt auf Fortschritt und entwickelt immer ungewöhnlichere Ideen. Stammapostel Niehaus bemüht sich nach den aufgewühlten Zeiten des Ersten Weltkriegs um Ruhe und Beständigkeit. So spaltet sich der „Reformiert-Apostolische Gemeindebund“ ab.
Erfolgsbilanz in Einheit
Doch das kann die Entwicklung nicht aufhalten: 1922 wird mit dem „Apostelkollegium“ – in Vereinsform – die erste zentrale Organisationseinheit gegründet, ein Vorläufer der heutigen Neuapostolischen Kirche International (NAKI). 517 Gemeinden hat Hermann Niehaus als Stammapostel übernommen. Am Ende seiner Amtszeit zählt die Kirche weltweit 1771 Gemeinden.
An den Folgen eines heimischen Unfalls leidend tritt Stammapostel Niehaus am 20. September 1930 in den Ruhestand und stirbt am 23. August 1932. Die Trauerfeier steht unter dem Bibelwort aus Hebräer 13,7: „Gedenkt eurer Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; ihr Ende schaut an und folgt dem Beispiel ihres Glaubens.“