„Zu des Heilands Füßen“? Oder: „Ein Tagwerk für den Heiland“? – Jesus selbst gibt Maria und Marta dazu eine klare Antwort. Doch die kann durchaus verwirren. Aufschluss bieten die Wörtchen „περισπάω“ und „τυρβάζω“.
Wie groß die Gästeschar war, das ist unbekannt. Kurz zuvor ist im Bibeltext noch von der Rückkehr der 72 Jünger die Rede. Jesus war jedenfalls nicht allein, als er in Betanien einkehrte (Lukas 10,38–42). Denn: „Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf.“
Dieser Ort, übersetzt „Armenhaus“, bot Jesus einen Ruhepol. Hier lebten drei der vier Menschen, von denen das Johannes-Evangelium sagt, dass der Herr sie liebte: die Geschwister Marta, Maria und Lazarus.
Hausherrin und Schülerin
Als die offenkundig ältere Schwester hatte Marta die Rolle der Hausherrin inne – und damit die Verantwortung dafür, sich um die Gästeschar zu kümmern. Das war nicht nur ein Gebot der Gastfreundschaft, sondern vor allem eine Frage der Ehrerbietung.
Was Maria tat, das war hingegen ziemlich unschicklich. Sie saß zu den Füßen des lehrenden Meisters – gerade so wie ein Schüler. Dort wurde normalerweise vielleicht noch die Tochter eines Rabbi geduldet, aber nur, falls sie auch einen Rabbi geheiratet hatte.
Vorbild und Stellvertreter
Zu tun war ohnehin genug. Also bat Marta den Herrn, Maria zum Mithelfen zu bewegen. Doch am Ende war sie es selbst, die zurechtgewiesen wurde: „Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“
Eine Situation mit hohem Symbolwert: Marta steht hier für einen Typ Mensch, der seinen Glauben in praktischer Arbeit und sozialer Aktivität lebt. Und Maria repräsentiert hingegen das stille Versenken in die Betrachtung. Spricht sich hier Jesus tatsächlich gegen den gebenden Charakter und für das empfangende Naturell aus?
Den anderen Jüngern weit voraus
Auch eine Maria beschränkt sich nicht auf passive Frömmigkeit. In Johannes 12 ist sie es, die Jesu Füße mit dem wertvollen Öl salbt – und in dieser vorweggenommenen Totensalbung ihr Verständnis des nahenden Opfertodes offenbart, den die anderen Jünger noch gar nicht verstehen.
Und auch eine Marta erschöpft sich nicht in Aktionismus. In Johannes 11 ist sie es, die bekennt: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.“ – Eine Erkenntnis, zu der der Rest der Jünger erst am Ende des Evangeliums kommt.
Glauben braucht beides
Worum es wirklich geht, das zeigt ein genauerer Blick auf den griechischen Grundtext. Wenn es heißt, dass Marta sich viel zu schaffen machte, denn steht da „peri-spáo“. Und das heißt so viel wie: hin- und hergerissen werden, von etwas völlig in Anspruch genommen werden, abgelenkt werden.
Und wenn Jesus von Martas Mühe spricht, dann steht da „tyrbázo“. Das kommt von „týrbe“ (Durcheinander, Lärm, Verwirrung) und meint „sich unruhig hin- und hertreiben lassen“. In Betanien geht es bei Lukas also nicht gegen das Aktiv-Sein, sondern gegen das davon Hinweggerissen werden – und zwar weg von dem, was wirklich wichtig ist.
Jeder von uns ist ein bisschen Maria und ein bisschen Marta. Und das ist auch gut so. Denn der lebendige Glauben braucht die stille Betrachtung ebenso wie das aktive Gelebt-werden. Entscheidend ist nur, im richtigen Augenblick das richtige Vorbild zu wählen.
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