Sie ist die wohl einflussreichste Frau des Christentums: Mirjam, Jüdin, lebt im Palästina der Zeitwende. Woher sie kommt, wohin sie geht, wovon sie zeugt und was die Jahrhunderte daraus machen – eine Selbstbeschreibung.
Ich bin die Ortsbenannte. Ich stamme aus der Stadt, die die Griechen Taricheae nennen. Das heißt „Salzfischeln“ und beschreibt, was wir hier ziemlich erfolgreich machen: Fisch fangen und konservieren, in Salz trocknen, pökeln. Der See Genezareth ist reich an Tieren. Die Stadt floriert und wächst.
Ich bin die Unbemannte. Zunamen bekommen Frauen meiner Generation eigentlich nur über einen Mann, ihren Vater oder ihren Gatten. Aber wo kein Mann, da tut es der Ortsname. Später dichtet man(n) mir jede Menge Männer an – und ein Kind von der Liebe meines Lebens. Solche Fantasien haben ganz spezielle Gründe.
Ich bin die Unbekannte. Drei der vier Evangelisten wissen über meine Vorgeschichte rein gar nichts zu berichten. Nur dieser Geschichtskundler – Lukas heißt er, meine ich –, der hat etwas ausgegraben. Besessen von sieben Dämonen – schreibt er über mich. Ein bisschen dicke, oder? Aber ja: Ich war krank. Und mein Heiland hat mich geheilt. Das hat mein Leben auf den Kopf gestellt.
Ich bin die Erstgenannte. Wo immer wir auftauchen – wir Frauen, die Jesus nachfolgen und seine Mission mit unserem Hab und Gut unterstützen –, da führe ich sie an. Daran kommt keiner der Evangeliumsverkünder vorbei. Ich sehe, wie Christus am Kreuz stirbt. Ich sitze dabei, als man ihn bestattet. Und ich bin es, die das leere Grab entdeckt.
Ich bin die Erstbeauftragte. Ich habe ihn als Erstes gesehen, den Auferstandenen. Und er hat mit mir gesprochen. Hat mir gesagt, dass ich die Botschaft von seiner Auferstehung weitergeben soll. Nur einer, der mag das nicht so weitergeben, dieser Lukas schon wieder, der macht den Petrus zur Nummer eins.
Ich bin die Lieblingsjüngerin. So beschreiben mich jedenfalls spätere Schriften, die es nicht in die Heilige Schrift geschafft haben. Evangelium nach Thomas, nach Maria, nach Philippus – und wie sie alle heißen. Oft steht da was von Zoff mit Petrus. Das ist schon etwas übertrieben. Aber das dokumentiert ganz klar: Im zweiten Jahrhundert nach Christus bekommen manche Männer so ihre Probleme mit starken Frauen.
Ich bin die Verrufene. Ein Papst macht mich zur Hure. Gregor heißt er, der mich gut ein halbes Jahrtausend später per Predigt als jene Sünderin identifiziert, die Jesu Füße mit Öl salbte. Und so werde ich von der Kronzeugin der Auferstehung zum Urbild der reuigen Büßerin stilisiert. Unter meinem Namen entstehen sogar Klöster und Heime für gefallene und gefährdete Mädchen und Frauen.
Ich bin die Verruchte. Die Geschichten, die man über mich erzählt, erregen Fantasien. Und die müssen natürlich bebildert werden. Wenn ich Glück habe, dann zeigen mich die Maler in teuren Kleidern und bunten Farben. Aber zu allen – selbst den prüdesten – Zeiten finden sie bei mir ein Alibi, den Pinsel auf erotische Weisen zu schwingen: ich barbusig, Halbakt, ganz nackt.
Ich bin die Verkaufte. Die Geliebte des Messias, die Mutter seines Kindes, die Ahnin eines geheimen Geschlechtes, das von Verschwörern beschützt wird: Ausgedacht haben sich solche Flunkereien eine Pfarrerserbin, die ein Grundstück samt „Schatz“ verkaufen wollte, und ein Okkultist, der passende Papyri fälschte. Zu Geld gemacht haben es Männer des 20. Jahrhunderts, die Bücher schrieben und Filme drehten.
Alles, was ich dazu zu sagen habe, ist dies: „Ich habe den Herrn gesehen.“ Und das haben seine Jünger gehört. Denn ich bin seine Botschafterin.
Ich heiße Maria von Magdala. Viele nennen mich „Apostolin der Apostel“.
Foto: ShutterDivision – stock.adobe.com