„Jetzt bitte die Maschinen ausstellen, wir beten!“, schallt es blechernd-krächzend über das Firmengelände. Heute ist der Chef in der Fabrik und dann ist das gemeinsame Gebet am Morgen obligatorisch.
Heute vor 60 Jahren, am 22. Juni 1958, rief Stammapostel Johann Gottfried Bischoff Michael Kraus zum Bezirksapostel für Kanada aus. Der 50-jährige Wahlkanadier war bereits seit 25 Jahren in verschiedenen Kirchenämtern aktiv und würde jetzt noch einmal weitere 36 Jahre als Bezirksapostel tätig sein. Denn erst mit 86 Jahren trat Bezirksapostel Michael Kraus am 4. Dezember 1994 in Kitchener (Kanada) in den Ruhestand. – 61 Jahre Amtstätigkeit, außergewöhnlich für heutige Ruhestandsregelungen.
Gott vor Augen
„Mihail Krauss“ wurde am 26. März 1908 in Meeburg (Siebenbürgen/Rumänien) als zweites von fünf Kindern geboren und wuchs deutschsprachig auf dem Bauernhof seiner Eltern auf. Mit 18 Jahren verließ er das Land. Von seinem Lehrer hatte er erfahren, dass in Kanada leicht Geld zu verdienen sei. Im Mai 1926 fuhr er von Antwerpen (Belgien) über den Atlantik nach Winnipeg (Kanada). „Habe Gott vor Augen und im Herzen und wandle in seinen Geboten, dann wird es dir wohlergehen!“, erinnerte sich der Auswanderer rückblickend an den Segensspruch seines Vaters vor Reisebeginn.
Keine Bekannten, keine Arbeit, nur ein einzelnes 10 Cent Geldstück in der Hosentasche – so kam Michael Kraus in Kitchener an. In der Einwanderungsstadt sprach man Deutsch, hier knüpfte er erste Kontakte. In einer Schokoladenfabrik begann er zu arbeiten, für 70 Pfenning pro Stunde. Später schuf er mit dem ersparten Geld ein eigenes kleines Baugeschäft, dann eine Weberei und schließlich 1959 die bekannte Teppichfabrik, die „Kraus Carpet Mills“ mit Standorten in Kanada, USA und Australien. Produziert wurden hier von bis zu 900 Mitarbeitern unter anderem tausende Meter dunkelrot gefärbte Sisalteppiche, die in neuapostolischen Kirchengebäude auf der ganzen Welt ausgelegt wurden.
Ein intensives Gebetsleben
Aber zunächst lernte Michael Kraus als junger Mann die Neuapostolische Kirche kennen und wurde ein begeisterter Missionar. Dass sein Glaubensbekenntnis anfänglich nicht viel Zuspruch erfuhr, kümmerte ihn nicht. Die Jahre „dienten nur dazu, mein Gebetsleben inbrünstiger zu gestalten“, berichtete der Bezirksapostel später.
„Täglich bete ich mindestens fünf Mal“, erklärte Bezirksapostel Kraus seine Sorge um die Glaubensgeschwister. Dieses Beten war ihm so wichtig, dass er das Zwiegespräch mit Gott auch seinen Glaubensschwestern und -brüdern vermittelte: „Vor einigen Monaten haben wir damit angefangen, in die Herzen aller Geschwister – in allen Völkern und Ländern – eine besondere Sprache einzubauen: das Gebet.“ Ein erfülltes Gebetsleben sollte in jedem Haus zu finden sein. Auf Bezirksapostel Kraus ist auch das Familiengebet zurückzuführen: „Zuerst betet der Vater, dann die Mutter, danach die Kinder, jeder der Reihe nach.“ Eine Art Rundgebet, bei dem Dank und Bitte aller zu Wort kommen.
Missionsarbeit auf allen Kontinenten
Beten, missionieren, aufbauen – das machte Michael Kraus täglich. Mit 25 Jahren empfing er das Diakonenamt, in den Folgejahren diente er in der Kirche als Priester, Evangelist und ab 1951 als Bischof. Am 26. Juni 1955 ordinierte ihn Stammapostel Johann Gottfried Bischoff in Zürich (Schweiz) zum Apostel und drei Jahre später zum Bezirksapostel für den neu geschaffenen Bezirksapostelbereich Kanada.
Sein Bekennermut kannte wenig Grenzen. Über seinen kanadischen Arbeitsbereich hinaus verkündete er die frohe Botschaft. In den 1960er Jahren schickte er Amtsträger nach Jamaika, Venezuela, Mexiko, später dann auch nach Korea, Hawaii und auf die Philippinen. Mitte der 1970er Jahre kamen dann Kenia, Nigeria, Pakistan hinzu. 1980 dokumentierte der kanadische Bezirksapostelbereich Missionsarbeit in 67 Ländern mit insgesamt einer Million Gemeindemitglieder. 14 Jahre später, bei der Ruhesetzung von Bezirksapostel Kraus, war der Arbeitsbereich auf vier Millionen Mitglieder angewachsen.
Aufbau der Gemeinden
Zum missionarischen Erfolg gefragt erklärte der besonders eifrige Apostel: „Gott krönte unsere Mühe mit Gnade und Segen, so dass die Zahl der Versiegelten von Jahr zu Jahr zunahm; sie werden von vielen tausend Amtsbrüdern bedient. All das wirkt in meiner Seele tiefe Dankbarkeit für alles, was unser Gott getan hat.“ Sein Wahlspruch, der ihn beruflich wie auch in seinem geistlichen Amt fortwährend antrieb, änderte sich nie: „Immer dankbar, aber nie zufrieden!“
Im Alter von 22 Jahren heiratete er seine Frau, Hilda Loscher. 71 Jahre waren sie – bis zu ihrem Tod im Jahr 2001 – verheiratet. Bei der Ansprache zur Diamantenen Hochzeit am 22. April 1990 sagte Stammapostel Richard Fehr mit Verweis auf das Wappen des Herkunftslands Siebenbürgen, dass die Ehe von Michael Kraus und Hilda ebenfalls eine Burg sei. Die Hauptmauern seien „Beständig in der Apostel Lehre, in der Gemeinschaft, im Brotbrechen und im Gebet.“ Das Gebet jedoch hätten der Bezirksapostel und seine Frau zum Turm ausgebaut.
Am 16. November 2003 verstarb Michael Kraus im Alter von 95 Jahren in Kitchener (Kanada).
Priorität hatte das Gebet
Es kam selten vor, dass der Teppichfabrikant Michael Kraus im Betrieb war, erinnert sich in diesen Tagen ein ehemaliger Mitarbeiter. Meist war Bezirksapostel Kraus als Missionar unterwegs. Wenn er aber am Firmensitz war, dann wurde morgens gemeinsam gebetet. Und die Maschinen standen still …
Korrektur: 27.06.2018, 14 Uhr: Die Ursprungsversion beinhaltete zwei Fehler, die wir korrigiert haben. Erstens: Am 22. April 1990 fand die Diamantene Hochzeit statt, nicht die Eiserne Hochzeit. Zweitens: Bezirksapostel Kraus verstarb im Alter von 95 Jahren, nicht im Alter von 94 Jahren.