Im Gotteshaus wird Brot verteilt: Nein, es ist nicht das Heilige Abendmahl, sondern nackte Armut, die für Szenen sorgt, wie sie neuapostolische Glaubensgeschwister in Moldawien erleben. Dieses Wochenende besucht der Stammapostel eines der ärmsten Länder Europas.
„Viele küssten das Brot und haben vor Freude geweint.“ So berichtete Apostel Semion Cazacu von einer Hilfsaktion im Jahre 2004. In allen ihren Gemeinden Moldawiens hatte die Neuapostolische Kirche nach den Gottesdiensten Brot ausgegeben.
Knapp zehn Jahre später hat sich die Lebenssituation der Menschen nicht wesentlich verbessert: Reis, Buchweizen, Zucker, Nudel und Speise-Öl waren es, die Bezirksälteste Kiril Popovici und Verwaltungsmitarbeiterin Marina Luchian im Juli 2013 an Bedürftige in dem Dorf Leova, rund 100 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Chișinău, verteilten.
Flucht aus der Armut
„Die Bevölkerung in Moldawien und damit auch unsere Glaubensgeschwister dort haben es schwer“, beschreibt Bezirksapostel Markus Fehlbaum (Schweiz) die Lage im östlichsten Land seines Arbeitsgebietes. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von etwa 185 US-Dollar pro Monat zählt das kleine Land zwischen Rumänien und der Ukraine, zu den ärmsten Ländern Europas.
Ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Auf der Suche nach Arbeit verlassen viele Moldawier ihre Heimat und verdienen ihr Geld im Ausland. Eine Million Menschen im arbeitsfähigen Alter sind bereits ausgewandert. Sie überweisen mehr Geld in das Land, als die Menschen zu Hause selbst erwirtschaften.
Zurück bleiben die Schwächsten
Zurück bleiben Alte, Kinder und Jugendliche. Die meisten von ihnen leben in Dörfern, in denen jede Infrastruktur fehlt: Die wenigen Straßen sind übersät mit Schlaglöchern. Statt Autos fahren dort Holzwagen, gezogen von Ochsen oder einem Pferd. Die Menschen leben oft in einfachsten, baufälligen Häusern – ohne zentrale Wasser- und Gasversorgung.
Die Dorfbewohner versuchen sich mit dem Anbau von Gemüse und Mais zu helfen, doch wenn lange Dürreperioden nur miserable Ernten ermöglichen, dann wissen die Menschen auf dem Land nicht mehr weiter: Wie sollen sie sich und die Kinder ernähren?
Nicht ohne Folgen für die Gemeinden
„Die materiellen Sorgen führen zu Existenzängsten, die Menschen werden schwermütig und verlieren ihre Lebensfreude“, berichtete Apostel Cazacu 2013 in der Zeitschrift Unsere Familie. „Da ist der Stammapostelbesuch eine göttliche Kraft, die uns aus unserer Lethargie herausreißen wird.“
Und neue Kraft können die Glaubensgeschwister dort gut gebrauchen. Denn die Not wirkt sich auch auf das Glaubensleben aus: Von den mehr als 100 ordinierten Amtsträgern, können sich nur etwa die Hälfte um die Gemeinden kümmern, die anderen sind aufgrund der wirtschaftlichen Lage ausgewandert. „Wir haben Gemeinden, die oft nur aus Müttern, Großvätern und Kindern bestehen“, so der Apostel.
Zuversichtlich in die Zukunft
Und dennoch: „Wir werden trotz der negativen Auswirkungen der Emigration neuen Mut fassen und die Zuversicht behalten. Die Geschwister werden trotz allem zusammenkommen und miteinander dann Andachten halten. Die Amtsträger werden weiterhin zu den Geschwistern fahren und mehrere Gottesdienste an einem Wochenende halten.“
Einen Teil seiner Zuversicht zieht Apostel Cazacu auch aus der Unterstützung durch Glaubensgeschwister. Denn mit vielen Projekten engagiert sich NAK-Humanitas, die karitative Stiftung der Neuapostolischen Kirche Schweiz, seit Jahren in Moldawien. Und hier geht es nicht mehr um die Verteilung von Lebensmittel, sondern um die Hilfe zur Selbsthilfe.
Dabei hat NAK-Humanitas vor allem die Ärmsten der Armen im Blick: Kinder, alte und kranke Menschen, ethnische Minderheiten: der Bau einer Tagesstätte für Kinder aus schwierigen Verhältnissen, der Aufbau eines Pflegedienstes für Senioren oder Bildungsangebote für Roma-Kinder – das ist nur ein Teil der Projekte, die das Hilfswerk unterstützt oder selbst durchführt.
„Wir sind dankbar, dass dies dank der Opfertreue vieler Geschwister aus Österreich und der Schweiz immer noch möglich ist“, betont Apostel Cazacu. Das Wichtigste für ihn ist allerdings: „Unser Glaube an Jesus gibt uns so viel Kraft, um die Alltagssorgen zu tragen.“
Hintergrund: Moldawien
Die Republik Moldawien liegt in Südosteuropa zwischen Rumänien und der Ukraine. Ein eigenständiger Staat ist die frühere Sowjetrepublik seit 1991. Auf einer Fläche von knapp 34.000 Quadratkilometern leben rund 3,1 Millionen Einwohner. Amtssprache ist Rumänisch, die zwei Dritteln der Einwohner sprechen. Regional vertreten sind zudem Russisch, Ukrainisch und Gagausisch.
Rund 95 Prozent der Bevölkerung gehören der Moldawisch-Orthodoxen Kirche oder der Russisch-Orthodoxen Kirche an. Die Neuapostolische Kirche ist in Moldawien seit 1991 aktiv und ist dort seit 1994 staatlich anerkannt. Aktuell gibt es dort 43 Gemeinden. Verantwortlich für die seelsorgerische Betreuung der etwa 4400 Kirchenmitgleider vor Ort ist bislang Apostel Semion Cazacu.