Völlig ahnungslos kam er nach Westafrika. Doch sein Herz voller Liebe hat dort bis heute Spuren hinterlassen: Apostel Rudolf Schilling, der am 14. September seinen hundertsten Geburtstag gefeiert hätte.
Da stand er nun, der Bezirksälteste, am 3. Mai 1969 am Flughafen in Accra, der Hauptstadt von Ghana. Stand da in Trenchcoat und mit Hut und Regenschirm. Und schwitzte vor sich hin. „Ich kam dorthin und hatte keine Ahnung, keinen blassen Schimmer, was mich da erwarten wird“, berichtete er gut zwei Jahrzehnte später.
Einmal Deutschland und zurück
Dass Rudolf Schilling überhaupt dort stand hatte mit einem gewissen Joseph de Graft Essell zu tun: Der ghanaische Krankenpfleger war von einem deutschen Arzt nach Nordhessen geholt worden. Und ein Patient einer Reha-Klinik dort, ein Priester aus Dortmund, hatte ihn mit dem neuapostolischen Glauben in Kontakt gebracht.
Joseph de Graft Essell fing Feuer – und wie: 1968 versiegelt, wenige Monate später Diakon und dann zurück nach Ghana im Auftrag von Bezirksapostel Gottfried Rockenfelder. Kaum zuhause in Apura bei Cape Coast hält er die erste Andacht, unter einem Baum samt Pappschild mit selbsterstelltem Kirchenemblem. Als Sprecher einer Veteranenvereinigung kam er viel herum in Ghana.
Gottesdienst mit Laufpublikum
Jetzt war Bezirksältester Schilling aufgebrochen, um den Diakon zu stärken und zu unterstützen. Vom Flughafen abgeholt wurde er in einem kleinen Bus, der für sieben Passagiere ausgelegt und mit 14 besetzt war. Und dann galt es erstmal, eine Bleibe für die Nacht zu suchen. Das Lager fand sich schließlich in Form einer Liege im Büro eines Rasthaus-Managers.
„Am anderen Morgen war Gottesdienst“, berichtete Rudolf Schilling im Jahr 1992 in einem Interview im „Kalender Unsere Familie“. Zugegen war die Familie Essel und zwei junge Männer: „So habe ich meinen ersten Gottesdienst in Ghana gehalten. Bei offenen Türen und Fenstern. Die Leute sind reingekommen und haben geguckt, was da los ist. Das war schon sehr ungewohnt.“
Hilfseinrichtung als Denkmal
Es war die erste von mehreren Dutzend Reisen, die er unternahm: als Bezirksältester, Bischof (ab 1972) oder Apostel (ab 1976), allein oder mit Bezirksapostel Rockenfelder, nach Ghana, Nigeria und Togo. Und es war der Anfang für das Wachstum der Neuapostolischen Kirche auch in anderen westafrikanischen Ländern wie Benin und Elfenbeinküste.
Heute zählt die Neuapostolische Kirche allein in Ghana rund 420.000 Mitglieder. Und welchen Stellenwert der Glaubenspionier dort genießt, da zeigt sich zum Beispiel schon gut ein Jahr nach seinem Heimgang. 1994 weihten Kirche und Kommune in Maase gemeinsam ein zehn Räume umfassendes Krankenhaus ein – die „Apostle Schilling Memorial Clinic“.
Zwei Worte, eine Liebeserklärung
Dass eine derartige Einrichtung gebaut wurde, das war ganz in seinem Sinne. Schließlich zählte er Jesaja 61,1 zu den Bibelworten, die ihn durchs Leben leiteten: „Der Geist Gottes des Herrn ist auf mir, weil der Herr mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen.“
„Das war eigentlich meine Leben und das war auch mein Arbeiten“, sagte Apostel Schilling im Interview: „Zu trösten, zu verbinden, Wunden zu heilen.“ Ein Herz voller Fürsorge und unbezwingbarer Liebe – das bescheinigten ihm Stammapostel, Bezirksapostel und Mitapostel auch bei der Trauerfeier im September 1993. Die Glaubensgeschwister brachten es mit zwei Worten auf den Punkt: Sie nannten ihn „Papa Ghana“.
Mehr über Apostel Rudolf Schilling ist beim Zentralarchiv der Neuapostolischen Kirche Westdeutschland zu lesen.