Ritus, Sakrament oder nur ein Nebeneffekt der Taufe: Wie der Christ zum Heiligen Geist kommt, das sehen die Kirchen ganz unterschiedlich. Und diese Vielfalt hat fast 2000 Jahre Tradition.
Das Manifest könnte so ausgesehen haben: Gott hat der Christenheit eine neue Ausgießung des Heiligen Geistes geschenkt – und damit die Urkirche und ihre Geistesgaben, wie Krankenheilung und Zungenrede, wiederbelebt. Das kann und muss man selbst erleben. Und dann klappt‘s auch wieder mit der Verkündigung und Verbreitung des Evangeliums.
Der Geist macht den Anfang
Nein, diese Beschreibung zielt nicht auf die 1830er Jahre, als das Apostelamt wiederbesetzt wurde. Diese Formulierung gilt auch nicht dem Aufkeimen der Pfingstkirchen ab den 1900er Jahren. Die Worte nennen viel mehr die Gemeinsamkeiten der charismatischen Impulse, die alle Großkirchen außer der Orthodoxie in den 1960er Jahren erfassten. Und Impulse wie diese lassen sich zurückverfolgen mindestens bis zur Erneuerungsbewegung der Montanisten in den 160er Jahren – also in der ganz frühen Kirche.
Wie lässt sich der Heilige Geist empfangen? Wie wirkt sich das aus? Und wie zeigt sich das? Fragen wie diese bewegt die Christenheit seit ihren Anfängen. Warum sollte das so wichtig sein? Ganz klar: Zwar ist Jesus Christus der Erlöser. Doch am Beginn des Erlösungsprozesses steht die Geistverleihung. Das macht der biblische Apostel Paulus immer wieder deutlich.
Die Kirchen geben Antworten
Die Antworten zum Wann, Wie und Wo fallen in den Kirchen ganz unterschiedlich aus: „Christen haben eine unterschiedliche Auffassung davon, worin das Zeichen der Gabe des Geistes sich ausdrückt“, konstatiert die berühmte Lima-Erklärung von 1982, ein Schlüsseldokument ökumenischer Annäherung.
„Verschiedene Handlungen sind mit dem Geben des Geistes in Verbindung gebracht worden“, heißt es unter Punkt 17 weiter: „Für einige ist es der Wasserritus selbst. Für andere ist es die Salbung mit Chrisma und/oder die Handauflegung, die von vielen Kirchen Konfirmation genannt wird. Für wieder andere sind es alle drei, da sie in dem ganzen Ritus den Geist wirken sehen.“
Die Bibel lässt vieles offen
„Die Auseinandersetzung über den Zeitpunkt, die Bedeutung und die Manifestationsausweise der Ausgießung und des Empfangs des Geistes am Beginn des christlichen Lebens haben ihre Wurzeln im komplexen Zeugnis des Neuen Testaments.“ Das befindet das gut 9000 Seiten starke Lexikon „Religion in Geschichte und Gegenwart“. Soll heißen: Schuld an dem Schlammassel ist die Bibel selbst.
Denn was vor allem die Apostelgeschichte über den Geistesempfang berichtet, das ist nicht eindeutig. Und so finden die Christen unterschiedlicher Zeiten und unterschiedlicher Konfessionen immer wieder neue Anknüpfungspunkte für ihr Verständnis – je nachdem, ob es auf katholisch „Firmung“ heißt, auf orthodox „Myron-Salbung“ oder auf neuapostolisch „Heilige Versiegelung“.
In einem sind sich die Kirchen einig: Jene Kraft, die Menschen mit Gott verbindet, die auf einzelne Menschen fiel oder auch mal ein ganzes Volk verließ, diese Kraft macht Jesus Christus plötzlich verfügbar. Er war der erste, von dem es heißt, dass er mit Geist taufte. Und damit beginnt eine 2000-jährige Abenteuerreise.
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