Was bleibt von mir, wenn Gott „alles neu“ macht? Der neunte Glaubensartikel erzählt von einer Zukunft, in der Gott mitten unter den Menschen wohnt – und verletzte Geschichten nicht gelöscht, sondern geheilt sind.
Er ist der längste Satz im neuapostolischen Glaubensbekenntnis und skizziert eine Landkarte der Hoffnung: Wiederkunft Jesu, „Erstlinge“ aus Toten und Lebenden, Hochzeit im Himmel, Friedensreich, Endgericht und endet – angelehnt an Offenbarung 21 – mit der leisen, aber gewaltigen Zusage: „Dann wird Gott einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen und bei seinem Volk wohnen.“
„Ich glaube, dass der Herr Jesus so gewiss wiederkommen wird, wie er gen Himmel gefahren ist, und die Erstlinge aus den Toten und Lebenden, die auf sein Kommen hofften und zubereitet wurden, zu sich nimmt; dass er nach der Hochzeit im Himmel mit diesen auf die Erde zurückkommt, sein Friedensreich aufrichtet und sie mit ihm als königliche Priesterschaft regieren. Nach Abschluss des Friedensreiches wird er das Endgericht halten. Dann wird Gott einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen und bei seinem Volk wohnen.“
KNK 2.4.9 Der neunte Glaubensartikel
Der Weg zum Ziel
Am Anfang steht die Wiederkunft Jesu. Er nimmt die „Erstlinge der Toten und Lebenden“ zu sich: Menschen, die ihm gehören, auf seine Wiederkunft gehofft und sich vorbereitet haben. Sie werden im Auferstehungsleib zum Herrn entrückt.
Diese Gemeinschaft wird als „Hochzeit im Himmel“ beschrieben – ein Bild für die Verbindung zwischen Christus und seiner Gemeinde. Sie ist vollkommen und doch zeitlich begrenzt; was zeigt: Gottes Plan geht weiter.
Danach kommt Christus sichtbar auf die Erde zurück und richtet sein Friedensreich auf. Die „königliche Priesterschaft“ regiert mit ihm – nicht als Machtspiel, sondern im Dienst für andere. Das Evangelium wird allen verkündigt, Lebenden wie Entschlafenen.
Erst nach Abschluss des Friedensreichs hält Christus das Endgericht. Dann wird für alle sichtbar, dass er der gerechte Richter ist, vor dem nichts verborgen bleibt. Und dennoch: Hier ist nicht einfach „Ende“, sondern ein Neubeginn.
Bild der neuen Schöpfung: Gott wirklich mittendrin
„Siehe, ich mache alles neu“ (Offb 21,5). Es geht nicht um Kosmetik für die Welt, sondern um einen neuen Himmel und eine neue Erde. Nicht: alles weg, alles anders – sondern: alles vollendet, alles durchzogen von Gottes Nähe.
Am Ende der Bibel wird es ganz still – und zugleich ganz laut. Eine Stimme ruft: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen … und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein …“ (Offb 21,3.4). Gott bleibt nicht auf Abstand, sondern zieht ein – mitten in seine Schöpfung, mitten unter die Menschen.
Die neue Schöpfung ist zuerst keine Frage der Geografie, sondern der Beziehung: „Hütte Gottes unter den Menschen“ heißt, Gott bleibt nicht der ferne Beobachter, sondern wird Nachbar. Es ist die Vollendung dessen, was schon im dritten Glaubensartikel anklingt: ewiges Leben als neues Sein mit Gott – nicht mehr im Glauben, sondern im Schauen. Was Gott am Anfang „sehr gut“ genannt hat, führt er ans Ziel – gereinigt, geklärt, versöhnt.
Auffällig: Diese neue Welt wird nicht mit Palästen und Podesten beschrieben, sondern mit Tränen, die nicht mehr fließen, mit Leid, das aufhört, mit Tod, der keine Macht mehr hat. Die neue Schöpfung ist kein Luxus-Resort für Fromme, sondern der Raum, in dem alles Zerbrochene endgültig geheilt wird.
Neu – aber wer bin ich dann noch?
Da taucht schnell die Frage auf: Wenn Gott „alles neu“ macht – bin ich dann noch ich selbst? Mit dem, was mich geprägt, verletzt, gezeichnet hat? Wird das alles gelöscht wie eine Festplatte?
Die neue Schöpfung ist keine Kopie, sondern die Vollendung dessen, was Gott mit seiner Schöpfung begonnen hat. Christlicher Glaube sagt: Es bleibt Identität – aber geheilt. Die persönliche Geschichte wird nicht ausgelöscht, sie wird durch Gottes Nähe vollendet.
Ein biblisches Bild dafür ist der auferstandene Christus: Er trägt noch die Wundmale – aber sie tun nicht mehr weh. Aus Zeichen der Gewalt sind Zeichen der Liebe geworden. So ähnlich lässt sich auch Zukunft denken:
- Verletzungen definieren den Menschen nicht mehr.
- Schuld und Scham haben keine Macht mehr.
- Was heute blockiert, wird in Gottes Gegenwart zur geheilten Erinnerung – ohne die Last, die es jetzt noch hat.
Was bedeutet das für heute?
„Ich glaube, dass der Herr Jesus so gewiss wiederkommen wird …“ – wer das bekennt, rechnet damit, dass seine Geschichte nicht im Grab endet und die Welt nicht im Chaos. Die neue Schöpfung am Ende des Artikels gibt allen Zwischenstationen ihren Sinn: Wiederkunft, Friedensreich und Endgericht sind keine Drohkulisse, sondern Schritte auf dem Weg in Gottes Nähe. Das verändert den Blick auf Leid, Tod und Abschied: Schmerz bleibt real, aber er ist nicht absolut.
Das Potenzial, das Christus in jedem Menschen sieht, kann in der neuen Schöpfung ungehindert aufblühen – und wer darauf hofft, nimmt ernst, was Gott schon heute in ihn gelegt hat.
Wer auf Offenbarung 21 hofft, holt etwas von dieser Zukunft in den Alltag und manchmal blitzt sie auf: wenn einer tröstet, ohne zu bagatellisieren; wenn Schuld nicht totgeschwiegen, sondern vergeben wird; wenn in der Gemeinde niemand allein bleiben muss. Dann ist es, als würde Offenbarung 21 für einen Moment Probe laufen – und Gott zeigt: „So wird es einmal sein. Fangt ruhig jetzt schon damit an.“
Eine neue Schöpfung heißt nicht: „Die alte Welt kann uns egal sein“, sondern: „Sie steht unter Verheißung.“ Dieses Bewusstsein hat Einfluss auf den Umgang mit ihr.
Wer diesen Teil des Glaubensbekenntnisses verinnerlicht, sagt nicht nur etwas über eine ferne Zukunft, sondern auch über die eigene Gegenwart: „Ich richte mein Leben auf eine Geschichte aus, die größer ist als meine eigene Biografie. Und wichtig: Diese Geschichte endet nicht beim Gericht, sondern führt weiter – bis zur neuen Schöpfung.“
Foto: KI-generiert