Die Sakramente (64): Wo Gottes Liebe durchbricht

Man nennt es das Strukturgesetz biblischer Heilsgeschichte: das Prinzip „Stellvertretung“. Auch das Entschlafenenwesen der Neuapostolischen Kirche beruht darauf – wo das Grundmuster herkommt und hinführt.

Drei Sakramente kennt der Katechismus für die Verstorbenen: Heilige Taufe, Heilige Versiegelung und Heiliges Abendmahl. „Diese Handlungen werden an zwei Amtsträgern stellvertretend vollzogen“, heißt es in Abschnitt 12.1.9 .

Dieses Prinzip taucht auch auf bei der Taufe für die Toten, die in 1. Korinther 15,29 anklingt: „Wie man sich die Vikariatstaufe der theologischen Konstruktion nach zu denken hat, ist eine interessante Frage“, schreibt der bekannte Neutestamentler Klaus Berger. „Der Grundgedanke ist die ‚Stellvertretung‘.“ Und: „Ziel jeder Stellvertretung ist die heilswirksame Anrechnung für den, der den Akt nicht vollzieht.“

Eine Idee, viele Worte

Allerdings kennt die Bibel kein Wort, das sich mit „Stellvertretung“ übersetzen lässt. Doch das Konzept ist da und findet sich auch in der Sprache. So umfasst die Liste der Ersatzworte im Hebräischen des Alten Testaments zum Beispiel „vor Gott stehen“, „in die Bresche treten“, „in den Riss treten“, „Lösegeld geben“, „tragen“ oder „schleppen“ von Sünde, „Fürbitte leisten“, „zugunsten von“ und dergleichen mehr.

Oder konkret: Stammvater Jakob repräsentiert das ganze Volk Israel. Abraham tritt vor Gott für die Menschen von Sodom ein. Und Moses vermittelt gleich in beide Richtungen: Als Bote Gottes überbringt er die Gebote. Als Fürsprechers des Volkes bittet er um Erbarmen für die Goldkalb-Tänzer.

Mehr als ein Platzhalter

„Stellvertretung“, das heißt hier zumeist: „zu Gunsten von“. Doch das ändert sich zu einem „anstelle von“, wenn etwa die Klagelieder bejammern, dass die Nachfahren die Schuld der Väter tragen müssen. Oder wenn der Sündenbock das Unheil anderer auf sich nehmen muss.

Höhepunkt in diesem Sinne ist das Gottesknecht-Lied bei Jesaja, wo der Gerechte für den Schuldigen eintritt und in Folge dessen Sünde trägt. Das Alte Testament löst diese Perspektive nicht ein. Sie erfüllt sich erst in Jesus Christus.

Auf der nächsten Ebene

So versteht das Neue Testament das Heil: Dass Jesus Christus gestorben und auferstanden ist – und zwar „für mich“, „für uns“, „für euch“, „für viele“, „für alle“, „für Gottlose“, „für den Bruder“, „zugunsten“, „zugute“, „anstelle“, „anstatt“, „wegen“, „um … willen“. Da stirbt der gute Hirte für die Schafe und der Freund für die Freunde.

Und dabei bleibt das Prinzip „Stellvertretung“ nicht stehen: Die Boten Christi können aus seiner Vollmacht heilen. Aber schon ernstliche Fürbitte kann viel erreichen. Der Heilige Geist wirkt in Einzelnen zum Nutzen Vieler. Und die Eingliederung in den Leib Christi bedeutet das Mitsterben und das Mitauferstehen in Christus.

Jeder ein Stellvertreter

„Stellvertretung“, so die Schlussfolgerung der Theologen, das bedeute, dass das Handeln Einzelner zur Einbruchstelle für Gottes Heilspräsenz in der Welt wird. Mehr noch: Jeder, der sich gemäß seiner Begabung und Berufung für andere einsetzt, wird zur Einbruchstelle von Heil.

So spricht der berühmte evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer von der Stellvertretung als dem „Lebensprinzip“ der Kirche. Und sein katholischer Kollege Karl-Heinz Menke meint: „Darin besteht der ,neue Bund‘, dass jeder Christ auf bestimmte Weise durch, mit und in Christus zum Stellvertreter wird.“

Das Prinzip leben

Gelebt wird das Prinzip je nach Konfession ganz unterschiedlich. Mal betet der Priester stellvertretend für die ganze Gemeinde. Mal schlüpft ein geweihter Pfarrer beim Abendmahl stellvertretend in die Rolle Jesu Christi. Und mal bekennen Eltern oder auch Paten bei der Taufe stellvertretend den Glauben an den Erlöser.

Und die Neuapostolischen Kirche bekennt den Glauben an den allumfassenden Heilswillen Gottes darin, dass die Stellvertretung der kompletten Gemeinde Gottes – also nicht nur im Diesseits, sondern auch im Jenseits – zu Gute kommt.


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