Das Amt (7): Die Gabe als Aufgabe?

Wandel hat Tradition – auch in der Ämterordnung der Neuapostolischen Kirche. Doch wie weit darf das gehen? Sind zum Beispiel die Hirten und Evangelisten nicht ein biblisches Muss? Antworten auf vielgestellte Fragen.

Alles dreht sich um Epheser 4,11: „Und er [Jesus Christus] selbst gab den Heiligen die einen als Apostel, andere als Propheten, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer.“

Darauf baute die Katholische-apostolische Kirche Mitte des 19. Jahrhunderts die „Lehre vom vierfachen Amt“ auf. Zur inneren Ordnung der Kirche Christi gehörten demnach: Apostel, Prophet, Evangelist und Hirte – der mit dem Lehrer zusammengefasst wurde. Diesem Amtsverständnis folgte zunächst auch die Neuapostolische Kirche.

Das Konzept hat ein Vorbild: Schon 300 Jahre zuvor formulierte der Reformator Johannes Calvin die Vierämterlehre. Seine Kirchenordnung von 1541 befand: Jede Gemeinde brauche die Ämter Pastor (Hirte), Doktor (Lehrer), Ältester und Diakon. Dabei griff er auf Bezeichnungen zurück, die als biblisch begründete Ämter allgemein anerkannt sind.

Vorbilder von Gestern für Morgen

Die biblische Begründung für ihre Sicht aufs vierfache Amt fanden die beiden apostolischen Kirchen vor allem in Vergleichen: mit den vier Flüssen im Garten Eden, mit den vier Hörnern am Bandopferaltar der Stiftshütte, mit den vier Wesen aus Offenbarung 4 und dergleichen noch viel mehr.

„Vorschattungen“ nannte das die katholische-apostolische Literatur. Von typologischer Auslegung sprechen die Wissenschaftler heute: Bilder aus der Vergangenheit dienen als Schlüssel zum Verständnis von Gegenwart und Zukunft. Das Prinzip hat zwar Tradition seit den frühen Christen, gilt aber als gänzlich ungeeignet, bloße Sachfragen zu beantworten – wie etwa: Welche Ämter hatte die Urkirche?

Keine Einsetzungen, keine Anforderungen

Der genaue Blick ins Neue Testament zeigt wichtige Unterschiede zwischen den Diakonen und Ältesten/Bischöfen einerseits sowie den Propheten, Evangelisten und Hirten andererseits:

  • Die Apostelgeschichte und Paulusbriefe berichten davon, wie Apostel zunächst Diakone und später Bischöfe einsetzten. Weder für Propheten noch für Evangelisten und auch nicht für Hirten findet sich Vergleichbares.
  • Die Pastoralbriefe (1. und 2. Timotheus, Titus) nennen klare Anforderungen an die Männer, die als Diakone oder Bischöfe dienen sollen. Derartiges fehlt für Propheten, Evangelisten und Hirte.
  • Die beiden Gruppen werden an keiner Stelle gemeinsamen betrachtet. Einziges Bindeglied ist die Erwähnung des Apostels.

Im Gesamtzusammenhang des Neuen Testamentes betrachtet ist Epheser 4,11 also nicht dazu geeignet, Propheten, Evangelisten und Hirten als zwingenden Bestandteil einer kirchlichen Ämterordnung anzusehen.

Zwischen Dienst und Gabe

Und was soll Prophet, Evangelist und Hirte an dieser Stelle dann? Die Antwort liegt im Wörtchen „gab“, griechisch „dídomi“, das auch für „schenken“ steht. Darauf deutet schon Epheser 4,7 hin: „Einem jeglichen aber unter uns ist gegeben die Gnade nach dem Maß der Gabe Christi.“

Und das wird ganz deutlich in 1. Korinther 12: Dort ist die Rede von den unterschiedlichen Diensten (diakonía) und den unterschiedlichen Gnadengaben (chárisma). Neben Propheten und Lehrer sind dort auch „Wundertäter, Helfer und Regierer aufgezählt“, wie schon 1913 das neuapostolische Geschichtsbuch „Alte und Neue Wege“ betonte. Demnach müsse es eigentlich „nicht bloß vier oder fünf Ämter“ geben, „sondern mancherlei.“

Das Amt einerseits und die geistliche Gabe andererseits: So erklärt es sich dann, warum Philippus, bekanntlich einer der sieben ersten Diakone, auch als Evangelist bezeichnet wird. Ebenso wie Timotheus, dem durch Handauflegung ein Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit gegeben ist. Und das erklärt auch, warum Apostel Paulus sich selbst als Lehrer bezeichnen kann.

Nicht jede Gabe entspricht einem Amt. Aber auch nicht jede Aufgabe bedingt ein Amt. Davon handelt die nächste Folge in dieser Serie.


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