Seelsorge (10): In Würde alt werden und wie das gelingen kann

Wenn der Zenit erst überschritten ist, geht es bergab. So jedenfalls vermittelt es die Gesellschaft alle Nase lang. Die Werbung sagt uns knallhart, dass es für alles ein Ablaufdatum gibt. Gott sei Dank sehen Seelsorger das anders. Nicht das Lebensalter macht den Menschen aus, sondern sein Wesen.

Der Mensch wird älter, so will es das Leben. Und wenn er nicht allzu früh stirbt, durchschreitet er von Kindheit bis Alter ganz unterschiedliche Lebensphasen mit eigenen, zwar individuellen und doch vergleichbaren Stationen. Wissenschaftler, die sich mit der Beschreibung der emotionalen Auswirkungen des Älterwerdens beschäftigen, erklären es an einem drei-Phasen-Modell:

Der Herbst des Lebens kommt

Nach einem hoffentlich reich angefüllten Arbeitsleben kommt irgendwann der Ruhestand. Wohl dem, der sich darauf vorbereitet hat. Diese erste Phase beginnt häufig mit der Aufgabe von bisherigen Tätigkeiten und Verpflichtungen. Oft waren es liebgewonnene Tätigkeiten. Eine Arbeit, die Freude macht, wird ja nicht wirklich als Belastung empfunden. Und tatsächlich ist für manche Menschen der eigentlich als Entlastung gedachte Eintritt in den Ruhestand eine drohende Belastung. Deshalb sagt man älter werdenden Menschen nicht umsonst, dass sie sich auf ihren Ruhestand regelrecht vorbereiten sollten: entwickelt Strategien, sucht Hobbies, setzt Wünsche um, nehmt euch Ziele vor. So wird unter günstigen Umständen die Befreiung aus Verantwortung und Stress eine Freude statt eine Last. Die neu gewonnene Freiheit mündet in eine kreative Freizeit. Solche Typen erkennt man unter anderem daran, dass ihnen die Wahrnehmung, dass sie nun zu den „Senioren“ gerechnet werden, nicht einleuchten will.

Der Mensch wird ruhiger

Die zweite Phase kommt: Nach außen gerichtete Aktivitäten, die Mobilität, das soziale Miteinander lassen allmählich nach. Der Mensch wird ruhiger, verinnerlichter, stiller und manchmal leider auch einsamer. Häufigere Arztbesuche stehen an, man konzentriert sich mehr auf die Alltagsbewältigung. Die üblichen Abläufe, das „Programm“ ändern sich: Lange Wege werden beschwerlicher oder gar gemieden, viele Aktivitäten verursachen Mühe, die Mitarbeit lässt nach. Zu akzeptieren, dass bei allem Wollen viele der bisherigen Tätigkeiten nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr möglich sind, fällt schwer.

Die Welt wird kleiner

„My home is my castle“ – in der dritten Phase verengt sich die Welt nicht selten auf die eigene Wohnung oder das Zimmer im Seniorenheim. Persönliche Kontakte haben sich auf ein Minimum reduziert, was auch daran liegen kann, dass alte Freunde längst gestorben sind. Krankheiten oder körperliche Einschränkungen stellen sich ein, der eigene Handlungsspielraum ist eingeschränkt – nicht selten auf einen Schlag – und man ist auf die intensive Unterstützung durch andere Menschen angewiesen. Jetzt ergreifen andere Gedanken die Oberhand: Die Endlichkeit des Lebens steht vor Augen und die Beschäftigung mit dem, was kommt, nimmt zu. Die Familie ist jetzt gefragt, ein enger Kontakt zum kümmernden Seelsorger unendlich geschätzt. Gerade er wird an der Grenze zwischen Leben und Tod als tröstende und Perspektive eröffnende Bezugsperson immer wichtiger.

Auf zwei Säulen bauen

In jeder Phase des Lebens – ganz vorne oder ganz hinten – tragen zwei Säulen das ganze Gewicht des zwischenmenschlichen Miteinanders: Wertschätzung und Hilfestellung. Gerade die Wertschätzung ist scheinbar aus der Mode gekommen, dabei ist sie unscheinbar, unsichtbar, immateriell. Wertschätzung kostet nicht viel, häufig nur ein paar gute Worte, ein bisschen Zeit für den anderen. Dem anderen zu sagen, wie wichtig er ist, vermittelt nicht nur ein wohliges Gefühl. Es ist Ausdruck von Hochachtung und Anerkennung. Lege dem Nächsten einen roten Teppich aus und er nimmt dich garantiert mit drauf!

Auch in der Gemeinde wichtig

Wir – die Gemeinde – brauchen unsere älteren Gemeindemitglieder. Sie sind Hüter der Tradition, Garanten für Weisheit und Lebenserfahrung. Das alles ungenutzt zu lassen, wäre fahrlässig und dumm. Der Mensch mit Zukunft braucht das Wissen der Vergangenheit, um in der Gegenwart nicht dieselben Fehler zu machen wie die Vorgängergenerationen. Wer für eine bessere Welt kämpft, muss aus Fehlern lernen.

Andererseits dürfen sich die Altvorderen nicht als Oberlehrer aufspielen, die völlig frei von Selbstkritik und Einsicht meinen, sie hätten alles richtig gemacht. Es braucht viel mehr den Austausch: Die Älteren teilen ihre Erfahrungen und Lebensweisheiten und erhalten von den Jüngeren Energie und Zuspruch. Das ist gewiss leichter gesagt als getan und klappt ja schon nicht in der eigenen Familie, geschweige denn in einer Gemeinde. Doch es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie wertvoll es ist, aufeinander zu hören, miteinander zu reden statt nur übereinander. Für die Gemeinde, die das berücksichtigt und wenn auch nur in geringem Maß, gilt das Leitbild der Neuapostolischen Kirche: Eine Kirche sein, in der sich Menschen wohlfühlen und — vom Heiligen Geist und der Liebe zu Gott erfüllt — ihr Leben nach dem Evangelium Jesu Christi ausrichten und sich so auf sein Wiederkommen und das ewige Leben vorbereiten.

Foto: Ljupco Smokovski

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Datum:

Peter Johanning
23.02.2021