Der Treffpunkt heißt „Kapelle“

Kleine Herde, großer Einsatz: Weder weite Wege noch Corona-Bedingungen können die Ungarn aufhalten, die sich am kommenden Sonntag in einem kleinen Ort treffen – zu einem doppelt besonderen Gottesdienst.

Reisewege bis zu 600 Kilometer haben die Teilnehmer vor sich. Sie kommen aus dem ganzen Land nach Kápolnásnyék zwischen der Hauptstadt Budapest und dem Balaton, dem Plattensee. Dort versammeln sich die Glaubensgeschwister zum Gottesdienst mit Stammapostel Jean-Luc Schneider. Der Ort enthält im Namen den Begriff „Kapelle“ und führt auch ein solches Kirchlein im Wappen.

Dazu zählt unter anderem eine Seniorin. Ob denn die Strapazen nicht zu groß sein, sei sie gefragt worden. Ach was, so habe die Frau entgegnet, sie habe eigens ihre Betreuerin als Reisebegleitung gebucht. Das erzählt der für Ungarn zuständige Bezirksälteste Michael Wall aus Österreich im Gespräch mit nac.today.

Weite Anreise, das ist zumindest das runde Dutzend an heimischen Amtsträgern sowieso gewohnt. Rund 430 Mitglieder zählt die Neuapostolische Kirche in Ungarn, verteilt auf das ganze Land. Das bedeutet, dass die Dienstleiter regelmäßig Doppelschichten fahren. Ein Gottesdienst am Sonntagmorgen, dann 100, 200, 300 Kilometer weiter in die nächste Gemeinde – und am Abend wieder zurück. „Die Autobahnen sind gut, aber die Landstraßen nicht unbedingt rückenschonend.“

Gottesdienst in Corona-Zeiten

Schon frühzeitig hat Bezirksältester Wall die Halle in Kápolnásnyék mieten lassen – und ist froh drum. Denn in Zeiten der Pandemie weiß man nie, wie viel Platz man bei welchen Abstandsregeln tatsächlich braucht. Der Virus hat Ungarn schwer getroffen. Gemessen an der Einwohnerzahl hat das Land insgesamt die weltweit zweithöchste Quote an Corona-Toten zu beklagen.

Aus dem Stand heraus – ohne Geräte oder Vorerfahrungen für IPTV-Sendungen zu haben – hat auch die kleine Gemeinschaft Online-Übertragungen auf die Beine gestellt. Dankbar berichtet der Bezirksälteste vor allem vom Einsatz des Jugendlichen Fábián Rab, der seinen Vater, den Bezirksevangelisten Mihály Rab, seit Beginn der Pandemie durchs Land begleitet, um die Gottesdienste per Internet zu den Glaubensgeschwistern nach Hause zu bringen.

So bekam dann sogar im fernen Nordamerika ein gebürtiger Ungar mal wieder die Chance, einen Gottesdienst in seiner Muttersprache mitzuerleben: Leslie Latorcai, seines Zeichens Bezirksapostel in Ruhe der Neuapostolischen Kirche Kanada.

Ein Anfang und ein Neustart

Seit wenigen Monaten ist es dem Österreicher Wall wieder möglich nach Ungarn einzureisen. Auch Chorgesang darf wieder auf dem Programm stehen. Trotz weiter Wege und Pandemie-Einschränkungen konnten die Sänger gemeinsam üben. „Zwei Proben für einen Stammapostel-Gottesdienst, eigentlich ein Wahnsinn“, schmunzelt der Bezirksälteste. „Aber wir sind so froh, dass das überhaupt geht.“

Stammapostel Schneider ist bereits zum zweiten Mal in Ungarn. Sein erster Besuch fand im Juni 2015 statt und führte nach Budapest. Dort machte auch Richard Fehr im August 1990 Station – als erster Stammapostel überhaupt.

Die Geschichte der Neuapostolischen Kirche in Ungarn geht bis ins Jahr 1872 zurück. Da reiste Apostel Peter W. L. Stechmann nach Budapest. Doch seine zwei Jahre Arbeit blieben zunächst ohne nachhaltige Wirkung.

Lauter erste Male

Die erste Gemeinde entstand kurz vor dem zweiten Weltkrieg: 1935 war eine ungarische Familie in die Heimat zurückgekehrt, die in Berlin die Neuapostolische Kirche kennengelernt hatte. Diakon Josef Gutweniger hieß der erste Amtsträger, der von Österreich kam, um die kleine Herde in Budapest zu betreuen.

1937 versiegelt Apostel Rudolf Schneider I. drei Ungarn, darunter einen gewissen, András László aus Budapest. Er wurde 1938 zum Diakon ordiniert und hielt von da an die meisten Gottesdienste in dem Land. Seitdem wuchs die Zahl der Gemeinden und 1985 konnte in Budapest das erste eigene Kirchengebäude gekauft werden.

Ganz nah dran bei einem Stammapostel-Gottesdienst war Ungarn noch kurz vor dem ersten Besuch. Bei der Premiere der Pfingstübertragungen heutigen Musters im Jahr 1990 waren gleich drei Gemeinden als Empfangsstation dabei – so viel wie in Österreich und Jugoslawien zusammen.

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Andreas Rother
16.09.2021
Gemeindeleben