Es ist die einzige Bibelstelle, die die Evangeliumsverkündigung durch Frauen tatsächlich ablehnt. Doch laut Wissenschaft stammt die Aussage gar nicht von Apostel Paulus. Wie geht die Kirche damit um?
Die Frauen sollen „schweigen in der Gemeindeversammlung“. So lautet die bekanntere Version des sogenannten Schweigegebotes, die sich in 1. Korinther 14,34 findet. Doch der Zusammenhang zeigt: Hier geht es nicht ums Predigen, sondern um Rückfragen von Lernenden.
Eine klare Ansage gibt indes 1. Timotheus 2,12: „Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre“, sondern „sie sei still.“ Und im Griechischen steht für „lehren“ das gleiche Wort wie im Missionsbefehl Jesu an die Jünger: alle Völker zu taufen und zu „lehren“. Der Autor dieses Satzes will Frauen die Verkündigung des Evangeliums untersagen.
Doch wer ist dieser Autor?
Unter dem Namen des Lehrers
Die Mehrheit der wissenschaftlich fundierten Bibelausleger ist sich sicher, dass nicht Apostel Paulus den ersten Timotheus-Brief verfasst hat, sondern einer seiner Schüler. Dass die Schüler unter dem Namen ihres Lehrmeisters schreiben, war in der Antike durchaus üblich und galt nicht mal als anrüchig.
Die Annahme einer anderen Autorenschaft basiert nicht auf bloßen Vermutungen, sondern auf überprüfbaren Fakten. Dazu gehören unter anderem:
- Wortschatz und Satzbau in den sogenannten Pastoralbriefen (Timotheus, Titus) unterscheiden sich deutlich von den Gemeindebriefen (zum Beispiel an die Römer, Korinther oder Galater). Das zeigen statistische Analysen.
- Die Angaben der Pastoralbriefe über die Geschicke und Reiserouten des Apostels passen nicht mit den anderen Briefen zusammen.
- Die Pastoralbriefe sprechen Themen an, die in den Gemeindebriefen keine Rolle spielen. Während es Paulus typischerweise vor allem um den gerecht machenden Glauben ging, steht auf einmal das Bewahren traditioneller Lehre im Vordergrund.
Wenn der Apostel nicht der Verfasser war, wie ist dann die Aussage zur Evangeliumsverkündigung durch Frauen zu bewerten?
Autorität kommt von Gott
Darauf hat die Bezirksapostelversammlung bei ihrer Sitzung im November 2021 ihre Antwort gegeben. Der entsprechende Beschluss lautet:
- „Gott ist der eigentliche Urheber der biblischen Bücher. Die Autorität der biblischen Schriften ist in ihrer göttlichen Inspiration begründet und hängt nicht von den Verfassern ab, ob sie nun Apostel und Propheten waren oder nicht.
- Insofern hat der exegetische Befund, ob eine Schrift von diesem oder jenem Autor stammt oder nicht, für die Autorität dieser Schrift keinerlei Relevanz.
- Die lehramtliche Vollmacht des Apostolats dient nicht dazu, einzelne exegetische Probleme zu lösen. Vielmehr ist sie gegeben, um die Reinheit der Lehre der Kirche und ihre Verkündigung zu gewährleisten.“
Das heißt zusammengefasst: Das Problem, ob die Pastoralbriefe von Paulus oder von Paulusschülern verfasst worden sind, ist für die Lehre der Neuapostolischen Kirche nicht von Bedeutung. Da die Pastoralbriefe zum Neuen Testament gehören, sind sie verbindlich.
Aber: Ist damit das Thema „Frauenordination“ nicht schon erledigt?
Das Gesamtbild zählt
Nein, denn jetzt kommt es auf den Zusammenhang an. Kirche kann Lehre nicht auf einem einzelnen Bibelvers aufbauen. Das wäre willkürlich. Denn in der Bibel findet man immer einen passenden Vers, um etwas Beliebiges zu rechtfertigen. Wer Lehre ernst nimmt, der betrachtet deshalb biblische Befunde umfassend.
Und für den hier wichtigen Abschnitt 1. Timotheus 2,11–15 fällt auf:
- Das Schweigegebot widerspricht 1. Korinther 11,5, wo Frauen das prophetische Reden, also die Verkündigung des Wortes Gottes, erlaubt ist.
- Die theologische Begründung für das Schweigegebot widerspricht Aussagen aus dem Römerbrief.
- Der Verfasser führt kein göttliches Gebot an, sondern allein seine eigene Autorität und kulturelle Vorgaben des gesellschaftlichen Umfeldes.
Mit diesen Aspekten befassen sich die nächsten Folgen dieser Serie.
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