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Der Esel bin ich

März 23, 2024

Author: Andreas Rother

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Er wusste genau, was er tat – dieser Jesus, als er sein Reittier aussuchte, um nach Jerusalem einzuziehen. Und er sandte damit Signale bis in unsere Zeit hinein: eine Betrachtung zum Palmsonntag.

Es gibt diese Anekdote aus den Bergen Südamerikas: Eine Gemeinde kommt immer ins Kichern, wenn sie aus der Bibel vom Palmsonntag hört. Der Geistliche hakt bei den Leuten nach, die das Neue Testament in die Regionalsprache übersetzt haben.

Und so stellt sich heraus: Diese Sprache kennt kein Wort für Esel. Die Übersetzer umschreiben ihn als „ein Tier mit Fell und langen Ohren“. Indes: Die Menschen vor Ort haben nur eine Gattung dieser Art vor Augen – sie sehen Jesus auf einem Kaninchen nach Jerusalem hineinhoppeln.

Von zweifelhaftem Ruf

Nun gilt ein Esel, wie er über die Palmzweige durch die jubelnde Menge trabt, ja auch nicht gerade als das Paradebeispiel eines seriösen Reittieres – zumindest nicht heutzutage. Man sagt dem armen Vierbeiner nach, dumm, störrisch und träge zu sein. Und auch in der griechischen Antike hatte der Esel nicht den besten Ruf: Er galt etwa als Sinnbild für zügellose Fleischeslust.

Warum spielt solch ein Tier so eine tragende Rolle beim Einzug Jesu nach Jerusalem? Warum schickte Jesus die Jünger eigens los, ihm diesen Vierbeiner zu besorgen? Welches Zeichen seine Wahl des Transportmittels setzte, das war den Juden seiner Zeit sofort klar, als sie es sahen.

Ein Signal mit Wirkung

Denn die Zeitgenossen Jesu kannten die Prophezeiung aus Sacharja 9,9: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.“ Und dessen Reittier ist so wichtig, dass sein Wesen verbal ins Hirn der Hörer hinein gehämmert wird: ein Esel (chamor), so heißt es im hebräischen Grundtext, ein junger, starker Eselshengst (ajir), der reinrassige Sohn einer Eselin (baen atonot).

Warum das so wichtig ist, zeigt Vers Nummer zehn: Der Esel ist kein Pferd – also nicht jenes Schlachtross, das mit Streitwagen und Kriegsbögen einhergeht. Sein Reiter kommt nicht im Kampfgetümmel, sondern „er wird Frieden gebieten den Völkern“. Er ist kein Gewaltherrscher, sondern der Friedenskönig. Sein Reittier weist ihn aus als den Demütigen und den Sanftmütigen, den Gerechten und den Helfer.

Gar nicht so dumm

Zeitsprung zurück, dahin, wo ein Esel zum ersten Mal auftaucht in der Lebensgeschichte Christi. Zwar nicht in den Evangelien, wohl aber in der christlichen Tradition steht das Tier am Futtertrog in dem Stall, wo Jesus das Licht der Erdenwelt erblickte. Dorthin ist der Vierbeiner ebenfalls auf dem Umweg über ein Prophetenwort gekommen: „Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn“, heißt es in Jesaja 1,3.

Noch ein Zeitsprung ins zweite Jahrhundert nach Christus: Jemand kratzt ein Graffiti in eine Hauswand in Rom. „Alexamenos betet seinen Gott an“, steht dabei. Es ist die erste bildliche Darstellung Jesu: Sie zeigt den Gekreuzigten mit einem Eselskopf. Ein Spottkruzifix, sagt die traditionelle Interpretation. Vielleicht eine Selbstdarstellung von Christen, meinen manche Theologen. So wie Jesus als Unschuldslamm die Schuld der Welt auf sich nimmt, so trägt er demnach als Lasttier der Antike die Last der Welt.

Immer mutig vorwärts

So steht es dann doch ganz anders da, dieses Tier mit Fell und langen Ohren. Und man versteht besser, warum Jesus auf diese Weise unterwegs ist durch die Weltgeschichte. Auch heute kommt er nicht daher auf dem schnaubenden Schlachtross, sondern auf dem armen kleinen Esel. Und das bin ich, der Gläubige.

Sich selbst so zu sehen, erfordert Mut: Demut, also den Mut zum Dienen, Sanftmut, also die Stärke zur Friedfertigkeit, und Langmut, also die Kraft zur Ausdauer. Wir bekennen uns dieser Torheit und Eselei, zum Wort vom Kreuz, das uns gerecht macht. Und wir wissen, an welcher Krippe unsere Seele ihre Nahrung fürs ewige Leben findet.

Ja, und störrisch darf dieser Esel auch ein wenig sein, zumindest, darin dass er sich nicht vom Weg abbringen lässt – ganz egal, ob die Leute auf Wegesrand gerade jubeln, wie am Palmsonntag, oder höhnen, wie am Karfreitag.

Foto: tibor13 – stock.adobe.com

März 23, 2024

Author: Andreas Rother

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