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Die Sakramente (57): Als Stellvertreter zur Taufe

Juni 23, 2022

Author: Andreas Rother

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Ein Bibelvers bereitet Auslegern mächtig Kopfzerbrechen – und das seit 1800 Jahren. Genau diese Stelle ist der dritte Ansatzpunkt für das Entschlafenenwesen der Neuapostolischen Kirche. Letztlich geht es um die Macht eines Sakraments.

Es ist eine harte Nuss, die Apostel Paulus mit 1. Korinther 15,29 hinterlassen hat: „Was machen denn die, die sich für die Toten taufen lassen? Wenn die Toten gar nicht auferstehen, was lassen sie sich dann für sie taufen?“

Ein Vers, der mächtig Mühe macht

Die Bedeutung ist umstritten. Der Vers hat „große Investitionen an Scharfsinn und Spitzfindigkeit provoziert“, wie ein führender Bibelkommentar leicht süffisant anmerkt. Rund 200 unterschiedliche Interpretationen zählt die Fachliteratur von den Kirchenvätern über die Reformatoren bis heute.

Mittlerweile hat sich ein wissenschaftlicher Konsens verfestigt. Demnach geht es in dem Vers um die sogenannte Vikariatstaufe: Christen in Korinth pflegten den Brauch, sich stellvertretend für ungetaufte Verstorbene taufen zu lassen, um ihnen die Auferstehung in Christus zu ermöglichen. Das ist die philologisch überzeugendste Erklärung – darin ist sich die Mehrheit der Ausleger einig.

Apostel hat nichts dran auszusetzen

Der Vers ist die einzige Bibelstelle, die davon spricht. Warum erwähnt Paulus die „Taufe für die Toten“ überhaupt? Ganz einfach: Manche Christen in Korinth glauben nicht an die Auferstehung. Einige von ihnen praktizieren aber die Vikariatstaufe. Ohne Auferstehung ist das sinnlos, macht Paulus deutlich und schlägt die Leugner mit ihren eigenen Waffen.

Und wie bewertet der Apostel diese sakramentale Praxis für Verstorbene? Im Bibeltext selbst ist weder von Zustimmung noch von Ablehnung zu lesen. Vor allem aktuellere Bibelkommentare stellen fest: Paulus hätte die Totentaufe wohl kaum als Argument für die Auferstehung benutzt, wenn er dagegen gewesen wäre. Er redet darüber, wie über eine Selbstverständlichkeit.

Der Glaube wurzelt in zwei Kulturen

Wie kommt Korinth zu diesem Ritus? Die Christen dort leben in einem offenen, multikulturellen Umfeld. Und sie haben für diese Zeit ein ausgesprochen sakramentales Verständnis von Taufe. Sprich: Sie billigten der Handlung eine große Kraft zu.

Und ein Teil der Gemeinde glaubt daran, dass sich diese Macht bis ins Jenseits erstreckt. Die Wurzeln für diese Vorstellung sieht der wissenschaftliche Konsens sowohl im Judentum als auch in der griechischen Kultur:

  • Schon Platon weiß von Mysterienkulten innerhalb der Orphik, in denen Riten mit einem Tauchbad der Erlösung Verstorbenen dienen können. Antike Grabinschriften aus der heutigen Westtürkei bezeugen, dass solche Weihen gefeiert wurden.
  • Das zweite Makkabäer-Buch berichtet von jüdischen Gefallenen einer Schlacht, die Götzenamulette getragen hatten. Die Hinterbliebenen sammeln Geld und schicken es zum Tempel nach Jerusalem: So wird „für diese Toten ein Sühnopfer dargebracht, damit sie von ihrer Sünde erlöst würden“. Die besondere Parallele zum Christentum: Auch hier geht es um die Auferstehungshoffnung.

Weiter verbreitet, als angenommen

In älteren Bibelkommentaren wird die Vikariatstaufe ganz gerne als sektiererischer Brauch abgetan. Das hat auch damit zu tun, dass etwas Ähnliches später tatsächlich auch von Gemeinschaften am Rande der alten Kirche praktiziert wurde.

Neuere Fachliteratur nimmt an, dass die Totentaufe in Korinth ganz selbstverständlich war und vielleicht sogar auch in anderen paulinischen Gemeinden praktiziert wurde. Jedenfalls sei das Konzept von „Erlösung nach dem Tod“ im frühen Christentum weiter verbreitet gewesen, als gewöhnlich angenommen wird.

Zeichen für die Kraft des Zeichens

Tatsächlich befassen sich Kirchenväter ab dem zweiten bis ins vierte Jahrhundert mit ähnlichen Ansätzen und abweichenden Riten in verschiedenen Ecken und Enden der Christenheit. Das zeigt zumindest, dass es immer wieder das Grundbedürfnis der Gläubigen gab, auch ihren Verstorbenen den Weg zum Heil in Christus geebnet zu wissen.

Und so stellte der berühmte Theologe Dietrich Bonhoeffer die Frage: „Warum sollte aus solcher Auffassung der Taufe nicht auch ein derartiger Brauch als extremer […] Ausdruck der Kraft des Sakraments entstehen können?“

Eine Bischofskonferenz verbietet die Vikariatstaufe? So lautet die übliche Erzählung. Doch so ganz stimmt das nicht. Wie es mit den Sakramenten für Verstorbene im Christentum weiterging: Darum geht es in den nächsten beiden Folgen dieser Serie.

Foto: Weerapat Wattanapichayakul

Juni 23, 2022

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