In der Bibliothek mit neuapostolischem Schriftgut haben sie ihren Platz: die ausgiebigen Reiseberichte der Stammapostel-Reisen. Ganz vorne dran dabei die Jahre 1975 bis 1978 – die Zeit von Stammapostel Ernst Streckeisen: Er wäre heute 110 Jahre alt geworden.
Ausstrahlung: Wer ihn jemals persönlich getroffen hat, den schlug die rundum liebevolle Ausstrahlung von Stammapostel Streckeisen schnell in den Bann. Demütig, besonnen, reinen Herzens – so charakterisierte ihn Stammapostel Wilhelm Leber bei einem Gedenkgottesdienst heute vor zehn Jahren.
Armut und Arbeitslosigkeit
Ernst Streckeisen wird am 19. Oktober 1905 in St. Gallen/Schweiz geboren. Sein Vater stirbt, als er drei Jahre alt ist. Zusammen mit seiner Mutter Albertine und seinem jüngeren Bruder Karl durchlebt er bittere Armut. Nach kaufmännischer Lehre und Rekrutenzeit schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs durch und findet schließlich Anstellung in der Stadtverwaltung.
Den neuapostolischen Glauben lernen Ernst Streckeisen und seine Familie durch eine Nachbarin kennen. Im August 1910 erleben sie ihre Heilige Versiegelung. Sein erstes kirchliches Amt übernimmt er im Dezember 1927, als er zum Unterdiakon ordiniert wird. Bis Juni 1952 durchläuft er fast alle Amtsstufen und wird schließlich in Frankfurt a.M./Deutschland als Apostel ausgesandt.
Ein Mann für besondere Fälle
Apostel Streckeisen ist ein Gottesmann für besondere Fälle: Als Bezirksapostel Ernst Eschmann plötzlich stirbt, übernimmt er die Leitung im Apostelbezirk Schweiz. Als Bezirksapostel Arno Abicht bei einem Verkehrsunfall umkommt, kümmert er sich um die Glaubensgeschwister in Südamerika. Und als die Bezirksapostel Georg Schall und Gotthilf Volz altershalber in den Ruhestand gehen, betreut er zusätzlich auch den Apostelbezirk Württemberg.
69 Jahre ist Ernst Streckeisen, also in einem Alter, in dem andere längst ihren Ruhestand genießen, als die größte Aufgabe noch auf ihn wartet. Der 83-jährige Walter Schmidt bestimmt ihn Anfang 1975 zu seinem Nachfolger im Stammapostelamt. Weniger als vier Jahre Dienstzeit sind ihm vergönnt. Darin setzt er Zeichen und stellt Weichen.
Motor der Internationalisierung
Sicher: Stammapostel Hermann Niehaus unternahm als neuapostolisches Kirchenoberhaupt die erste Reise nach Amerika und Stammapostel Schmidt die erste nach Afrika. Doch die Internationalisierung nimmt erst so richtig Fahrt auf unter Stammapostel Streckeisen.
Er verlegt den Amtssitz in die Schweiz. Das verschafft ihm Zugang zu vielen Ländern, dies bislang nicht bereist werden konnten. So konnte er erstmals die Kirchenmitglieder in der damaligen DDR besuchen, die seit Kriegsende vor Ort keinen Stammapostelgottesdienst mehr erlebt hatten.
Binnen gut zweieinhalb Jahren besucht Ernst Streckeisen die Glaubensgeschwister auf allen Kontinenten: von Australien und Asien (Frühling und Sommer 1976) über Nordamerika (Sommer 1977) bis Südamerika und Südafrika (Frühling und Herbst 1978).
Der Stammapostel beruft in Kitchener (Kanada) nicht nur eine erste internationale Apostelversammlung ein. Er ließ auch den ersten ausdrücklichen weltweiten Dachverband der Neuapostolischen Kirche gründen, den „Internationalen Apostelbund“.
Ein plötzlicher Abschied
„Na, dann bleibt mir mal schön apostolisch …“ – Mit diesen Worten verabschiedet sich Stammapostel Streckeisen im Oktober 1978 zu einer Reise, von der er nicht mehr wiederkehren wird: Am 8. November 1978 stirbt er in Kapstadt an den Folgen eines Schlaganfalls.
Sein Vermächtnis hat Stammapostel Leber im Gedenkgottesdienst zum 100. Geburtstags mit dem Bibelwort aus Daniel 12,3 auf den Punkt gebracht: „Und die da lehren, werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich.“