Trost und Hilfe spendet das jüngste Konzert des Kammerchors Wilhelmshaven – zum Gedenken an die Tsunami-Katastrophe in Südost-Asien vor zehn Jahren. Wie haben Betroffene und Helfer die Katastrophe erlebt? Persönliche Erinnerungen:
„Vom Tod mit seiner kalten Macht“, aber auch vom „Licht nach dem Dunkel“ sang der Chor am 27. Dezember in der Neuapostolischen Kirche Lübeck. Zu Gast waren zahlreiche Angehörige unterschiedlicher Konfessionen, die Verwandte und Freunde bei der Naturkatastrophe verloren hatten: Ein Erdbeben der Stärke 9 hatte am zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 den Indischen Ozean erschüttert und damit eine Flutwelle ausgelöst, in der rund 250.000 Menschen starben.
Besonders bewegte die Besucher des Konzerts die Ansprache von Priester Klaus Gatzke. Er hat in dem Tsunami seinen Sohn Florian verloren.
Das Ende der Hoffnung
Vom ersten Urlaubstag an hatte der 26-Jährige damals von Thailand geschwärmt. „An Heiligabend haben wir telefoniert“, berichten Regina und Klaus Gatzke. Keiner konnte ahnen, dass es das letzte Gespräch war. Den zweiten Weihnachtstag 2004 begann die Familie aus Travemünde „wie immer, gemütlich“. Doch dann kam im Fernsehen ein Bericht über das Seebeben – die besorgten Eltern riefen Florian an – keine Antwort.
„Wir waren entsetzt, kämpften alle mit Tränen“, erinnert sich Klaus Gatzke. Sorge und Ungewissheit breiteten sich aus, man konnte nicht essen, nicht schlafen. „Wir haben Tag und Nacht ferngesehen, telefoniert, gebetet und gehofft.“
Das Ende der Ungewissheit kam Monate später, am Ostermontag: „Die Trauernachricht war Ende der Hoffnung. Danach ging die Trauer von vorne los.“ Nach einer bewegenden Trauerfeier für Florian trug seine Verlobte die Urne zum Grab. Sie hatte die Flutwelle durch eine rettende Hand überlebt. Doch noch heute ist es für sie ein Alptraum, Wasser auch nur rauschen zu hören.
Trost finden Regina und Klaus Gatzke im Austausch mit anderen Betroffenen, im Gebet und – aus dem Glauben heraus – in der Hoffnung, dass man sich wiedersieht. „Wir erlebten und erleben die Nähe Gottes in der Intensität, wie wir es anders gewiss nicht erlebt hätten.“
Als Helfer vor Ort
Gerade mal 300 Meter vom Meer entfernt wohnte Bezirksevangelist i.R. Erwin Santschi damals im thailändischen Kamala, als er die Rufe hört: „Überschwemmung!“ Zusammen mit seiner Frau und vielen anderen Menschen flüchtete er auf eine Anhöhe. Nach Stunden kehrten sie zurück. Zuhause und in ihrer Nachbarschaft hielt sich der Schaden in Grenzen. Und der Bezirksevangelist erhielt Bericht von mehreren Glaubensgeschwistern, die der Flut zum Teil nur knapp entkommen waren. Weiter unten im Dorf war viel zerstört.
Im Auftrag von Bezirksapostel Armin Studer und Apostel Urs Hebeisen organisierte Erwin Santschi Hilfe vor Ort. Geld, das aus der Schweiz überwiesen worden war, wurde in Kuverts sortiert und in Notunterkünften verteilt. „Es war überall rührend zu sehen, wie die Empfänger sich bedankten und dass jemand an sie gedacht hat“, berichtet er.
Doch der Bezirksevangelist weiß diese Art der Hilfeleistung einzuordnen: „Für viele Betroffene sind Schmerz und Trauer nach 10 Jahren immer noch da.“ Und Priester Leo Portvliet, der damals in Indonesien lebte, ergänzt: „Was wir tun können ist begrenzt. Aber wir können weiter für die Opfer beten: für die, die umgekommen sind, und für die, die überlebt haben und jetzt traumatisiert sind.“
Weckruf an die Kirche
„Für mich war der Tsunami ein Erlebnis, dass vor allem die eigene Ohnmacht vor Augen führte“, sagt der heutige Bezirksapostel Urs Hebeisen. „Plötzlich waren wir als Kirche gefordert, waren aber darauf überhaupt nicht vorbereitet. Plötzlich hatten wir größere Beträge an Spendengeldern zur Verfügung, wussten aber nicht genau, wie wir helfen konnten.“
„Wie das unser Auftrag gebietet, ging unsere Sorge natürlich sehr schnell zu den Armen, zu jenen Bevölkerungsschichten, für die sich kaum jemand interessiert“, erinnert sich der Bezirksapostel und verweist auf den unermüdlichen Einsatz von Bezirksevangelist Santschi: „Er besuchte die Familien, von Haus zu Haus, und versuchte im persönlichen Gespräch zu erfassen, wie man spontane Hilfe leisten kann. Ohne Bürokratie, einfach zu den Menschen gehen.“
„Der Tsunami war für mich der Weckruf, dass von der Kirche in der Öffentlichkeit mehr also nur Wahrnehmung des pastoralen Auftrages erwartet wird“, zieht Urs Hebeisen sein Fazit. Kirche habe ein großes Vertrauenskapital und da entstünden große Erwartungen. „Tsunami war für mich die Geburtsstunde von NACSEA Relief Fund“, dem Hilfswerk der Neuapostolischen Kirche in Südost-Asien: „Eine Koordinations- und Dienstleistungsstelle, welche genau dieses Vertrauenskapital, das die Kirche hat, verwalten kann. Ohne Politik, ohne Bürokratie, ohne unnützen Aufwand. Einfach ganz direkt mit den Menschen für die Menschen.“
„Mit den Menschen für die Menschen“ gilt auch für das Konzert in Lübeck. Von der Möglichkeit zu Spenden machten die Besucher reichlich Gebrauch. Der Erlös geht nun an den Verein „Zentrum für Kinder und Jugendliche in Trauer“. Denn auch die Betreuung erfahrener Trauerbegleitern bedeutet ein Stück „Licht nach dem Dunkel“.
(Ein ausführlicher Bericht über das Schicksal der Familie Gatzke ist in der Zeitschrift „Unsere Familie“, Ausgabe Nr. 22 vom 20. November 2014, zu lesen.)