Sie waren jung, zu jung zum Sterben. Doch ihr Leben endete jäh und ohne Erbarmen – mit der Hinrichtung heute vor 100 Jahren. Sie starben „mit einem Herzen voll Hoffen und Sehnen“, heißt es in einem Abschiedsbrief.
Die Rede ist von Max Reichpietsch und Albin Köbis. Hingerichtet wurden sie am 5. September 1917. Der Erste Weltkrieg dauerte damals schon drei Jahre und hatte viele Opfer gefordert, nicht nur auf den Schlachtfeldern quer in Europa, sondern auch in heimischen Kasernen.
Auf dem Schießplatz Wahn bei Köln/Deutschland spielte die Artillerie Krieg: Kampfgase und Flugabwehrübungen gegen Luftschiffe und Kampfflugzeuge wurden trainiert. Auch ein Lager für etwa 10.000 Kriegsgefangene war errichtet worden. Und infolge einer Meuterei gegen die Kaiserliche Marine im Sommer 1917 wurden hier die Todesurteile gegen Max Reichpietsch und Albin Köbis vollstreckt.
Ein Heizer und ein Matrose, zwei junge Männer waren sie. Sie waren nur zwei von vielen. Die Kriegsjahre hatten reichlich Not und Elend, Mangelernährung, Siechtum und Sterben gebracht. Die Menschen und auch viele Soldaten waren kriegsmüde geworden. Der eigene Tod war zum Feindbild geworden.
Unzufriedenheit mit den politischen und sozialen Verhältnissen war auch auf den Schiffen der deutschen Hochseeflotte eingekehrt. Insbesondere die Verpflegung in den Mannschaftskombüsen hatte sich dramatisch verschlechtert, während es in der Offiziersmesse immer noch reich gedeckte Tische gab. Beschwerden darüber bei den zuständigen Stellen wurden scharf zurückgewiesen. Die Marineführung wollte etwaige kommunistische und sozialistische Umtriebe der Matrosen offenbar im Keim ersticken.
Das Drama nimmt seinen Lauf
1917 wird für viele Matrosen zu einem Schicksalsjahr. Schon zu Jahresbeginn hatte es auf der in Wilhelmshaven und Kiel stationierten deutschen Kriegsflotte mehrere Protestaktionen gegeben. Schlechtes Essen, gekürzter Urlaub – Gründe gab es genug. Und dann das: Auf dem Schlachtschiff „Prinzregent Luitpold“ wird am 31. Juli 1917 die Entscheidung bekannt gegeben, dass die Kinovorstellung am folgenden Tag ausfallen sollte. Etwa 50 Heizer verlassen daraufhin für einige Stunden das Schiff. Arrest war die Folge.
Doch genau das provozierte eine noch größere Protestaktion: Diesmal gehen einige Hundert Seeleute vom Schiff. Matrosen anderer Schiffe schließen sich an. Der Schiffskommandant Karl von Hornhardt stellt sie allesamt vor das Kriegsgericht. Die Anklage lautet auf politische Betätigung und Meuterei. Es hagelt Zuchthausstrafen. Der Oberheizer Willy Sachse, die Matrosen Wilhelm Weber und Max Reichpietsch vom Schlachtschiff „SMS Friedrich der Große“ sowie der Heizer Albin Köbis und der Matrose Hans Becker von der „Prinzregent Luitpold“ werden zum Tode verurteilt. Der Oberbefehlshaber der Flotte, Admiral Scheer, nimmt drei Todesurteile zurück und verwandelt sie in langjährige Zuchthausstrafen; doch der 25-jährige Köbis und der 23-jährige Reichpietsch werden hingerichtet. Zwei für viele.
Reichpietsch – neuapostolischer Kriegsgegner
Max Reichpietsch wurde am 24. Oktober 1894 in Berlin-Charlottenburg in eine neuapostolische Familie geboren. Er meldet sich, kaum 18-jährig, 1912 freiwillig zur Marine. Seine Kriegserlebnisse, besonders die berüchtigte Skagerrak-Schlacht im Mai/Juni 1916 sowie die Ungerechtigkeiten an Bord der Kriegsschiffe lassen ihn zum Kriegsgegner werden. Er bezahlt sein Engagement für eine bessere Verpflegung und für die Antikriegsbewegung innerhalb der Flotte mit dem Leben. Ein Augenzeuge des Prozesses schildert ihn als aufgeweckten, frischen jungen Mann, der aber „politisch völlig ungeschult und unerfahren“ gewesen sei.
In seinem Abschiedsbrief an seine Eltern schreibt er: „Geliebte Eltern! Ich hätte euch schon lange geschrieben, was mit mir los ist, aber ich wollte erst mein Urteil abwarten. Nun ist dieser Tag gewesen, und er ist noch schlimmer ausgefallen, als ich gedacht hatte. Es ist ein Todesurteil geworden. Ob es vollstreckt wird, oder ob es durch die Gnade des Kaisers verhindert wird, liegt in Gottes Hand. […] Mir ist das Herz so schwer, daß es mir unmöglich ist noch weiter zu schreiben. Denn es ist traurig, als junger Mensch in der Blüte der Jahre, mit einem Herzen voll Hoffen und Sehnen, schon sterben zu müssen, sterben durch harten Richterspruch.“
Das Nachspiel der Proteste von 1917 kam ein Jahr später: Der nächste Matrosenaufstand im November 1918 führte zu einem allgemeinen Aufstand, zur Novemberrevolution und zum Zusammenbruch der Monarchie.
Gedenkstätten für Max Reichpietsch
Am Ort der Hinrichtung, der heutigen Luftwaffenkaserne Köln-Wahn, steht ein Denkmal für Reichpietsch und Köbis. In einigen Städten in Deutschland wurden Straßen nach ihnen benannt. Seit 1947 gibt es in Berlin-Tiergarten das Reichpietschufer. Das ist die Straße, von der in Höhe des Bauhaus-Archivs die Köbisstraße abbiegt.
Foto: M. Pfeiffer