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Und manchmal verschlägt es ihnen doch die Sprache

Mai 17, 2016

Author: Andreas Rother

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Sie haben das Wort und sind dennoch nicht zu sehen. Sie hören und reden gleichzeitig und denken dabei auch noch in zwei Sprachen. Wie erleben die Übersetzer eine Gottesdienst-Übertragung wie jetzt zum Pfingstfest 2016?

Zu Fuß durch Osteuropa in 20 Schritten: Alle Bürotüren sind geschlossen. Doch auf den Flur dringen gedämpfte Stimmen – alle paar Meter in einer anderen Sprache. Während in Frankfurt der Pfingstgottesdienst läuft, sind hier im Bischoff Verlag in Neu-Isenburg die Übersetzer bei der Arbeit. 21 Sprachen werden der europaweiten Video-Übertragung aus dem Congress Center kanalweise mitgegeben.

Keine Übersetzer, sondern Dolmetscher

Übersetzer? Das hören sie gar nicht gern. Es sind Dolmetscher. Zwar übertragen beide Sprachmittler die Worte aus der einen Sprache in die andere. Doch der Übersetzer arbeitet eher schriftlich, kann in Ruhe nachdenken, nachschlagen und korrigieren. Der Dolmetscher muss hingegen innerhalb von Sekunden entscheiden, reden während er weiterhört und was er gesagt hat, das bleibt so stehen.

Ein Knochenjob, den an diesem Pfingstsonntag rund 30 Freiwillige aus ganz Europa – von Portugal bis nach Russland – machen. Mit Auto oder Zug, die weitesten Wege per Flieger, sind sie zumeist Samstag ins Rhein-Main-Gebiet gekommen und reisen oft schon Sonntag wieder ab.

Standard-Vokabular und Sonderfälle

Ein Monitor, ein Kopfhörer mit Mikrofon, eine Bibel: Das ist das Handwerkzeug, mit dem die Dolmetscher in den Büros arbeiten, in denen die Woche über die Verlagsmitarbeiter am Werk sind. Natürlich kennen sie ihr Standard-Repertoire: etwa, dass der Stamm-Apostel im Englischen der Chef-Apostel, im Französischen der Patriarch-Apostel und im Albanischen der Haupt-Apostel ist.

Doch in der Praxis stellt sie die Predigt immer wieder vor Probleme, berichtet Friedrich Krauss. Zum Beispiel wenn ein Apostel im Englischen vom Unterschied zwischen „sacrifice“ und „offering“ predigt. Für das Opfer als Verzicht und das Opfer als Gabe gibt es im Deutschen halt nur ein Wort, sagt der 50-Jährige, der schon seit 1986 – quasi von der Schule weg – als Dolmetscher für die Kirche aktiv ist.

Der Lohn: die Dankbarkeit der Landsleute

Bei der Feier des Heiligen Abendmahls für die Entschlafenen verschlägt es Natascha Gann die Sprache – vor Rührung. Nertila Sadikaj sitzt neben ihr und übernimmt das Mikrofon. Mutter und Tochter, 61 und 39 Jahre alt, bestreiten gemeinsam die Übersetzung. Natascha Gann war die erste Albanerin, die den neuapostolischen Glauben angenommen hat. Übersetzungsaufgaben hat sie schon 1991 übernommen.

Für die Gottesdienst-Übertragungen arbeiten sie allesamt ehrenamtlich. Auch Jacky Mappus: Der 63-jährige Franzose ist ein Urgestein unter den Übersetzern. Der studierte Germanist stellt seit 1971 sein Sprachtalent in den Dienst der Glaubensgeschwister und ist seit 1988 in der Kirchenverwaltung angestellt. Doch beim Dolmetschen arbeitet er für den gleichen Lohn wie alle anderen – die Dankbarkeit der Landsleute.

„Wie eine große Familie“

Die Freude daran, den Glaubensgeschwistern eine Hilfe zu sein, das ist ein Teil der Motivation, bestätigt Friedrich Krauss. Doch es geht auch um die Freude an der Sprache, betont Jacky Mappus. Und Nertila Sadikaj ergänzt: „Es geht darum die Geschwister so zu berühren, wie es der Stammapostel getan hätte, wenn er diese Sprache sprechen würde.“

Erschöpft sind die vier Dolmetscher nach den zwei Stunden Gottesdienst nicht wirklich. Dafür stehen sind nach dem Dauerdruck noch zu sehr unter Strom. Und das wird auch noch eine Weile anhalten. Denn jetzt treffen sich die Übersetzer zum Mittagsessen. „Wir sind wie eine große Familie“, erzählt Natascha Gann. Man kennt sich seit Jahren und Jahrzehnten und lädt sich zum Teil sogar zu Hochzeitsjubiläen und anderen Familienfeiern ein.

Und wenn man so beieinander sitzt, dann kommen irgendwann auch die Anekdoten: etwa von vergessenen Sünden-Freisprachen, die der Dolmetscher einfach ergänzt hat. Oder vom breiten Schmunzeln eines Stammapostel Fehr gegenüber dem routinierten Übersetzer: „Ach, hab ich es jetzt mal endlich geschafft, dass ihnen die Worte ausgegangen sind …“

Mai 17, 2016

Author: Andreas Rother

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