Alles begann mit einer Zeitungsannonce. Die Neuapostolische Kirche in Brasilien feiert dieses Jahr ihren 90. Geburtstag – mit viel Musik, einem grenzüberschreitenden Jugendtag und einer ungewöhnlichen Einladung an alle.
Wilhelmine Wyck war glücklich, als der Vermieter ihr einen Zeitungsauschnitt in die Hand drückte. „Liebe neuapostolische Glaubensgeschwister …“, so begann die Annonce. Zwei Jahre zuvor, 1925, war Mimi, so ihr Rufname, mit ihren Eltern und ihren vier Schwestern von Westdeutschland über die Niederlande nach Brasilien gekommen. Seitdem hatte die 18-Jährige keinen Gottesdienst mehr besuchen können.
„… wir wollen uns versammeln“, so ging es weiter im Text der Zeitungsanzeige. Aufgegeben hatte diese Josef Koller, der bereits 1924 mit seiner Frau und seinem jüngsten Sohn von Süddeutschland nach Brasilien übergesiedelt war. Seitdem hatte er per Brief engen Kontakt mit Apostel Georg Schall in Deutschland gehalten. Und nun versuchte Josef Koller den Kontakt mit den Glaubensgeschwistern im Süden Brasiliens aufzubauen.
Aus der Wirtschaftskrise geflohen
Die Familien Wyck und Koller zählten zu den vielen Europäern, die nach dem Ersten Weltkrieg vor der wirtschaftlichen Not nach Südamerika flohen. Arbeitslos und verarmt verdingten sich viele Immigranten in der Landwirtschaft und wurden dort nicht selten ausgebeutet. Da sie aber oft eine solide Ausbildung in gefragten Berufen mitbrachten, konnten sie sich im Lauf der Jahre eine neue Existenz aufbauen.
Unter den Einwanderern waren auch viele Mitglieder der Neuapostolischen Kirchen – zumeist aus Deutschland und der Schweiz. Biemann, Skalla, Freitag, Lipok, Krupski, das sind die Familiennamen, von denen Mimi Wyck berichtet. Im Hause ihres künftigen Schwiegervaters, Josef Koller, fand im November 1927 der erste neuapostolische Gottesdienst in Brasilien statt.
Verbot regelt Gottesdienstsprache
Der erste Apostelbesuch – samt Versiegelungen – folgte 1930: Dem späteren Stammapostelhelfer Heinrich Franz Schlaphoff war neben Südafrika, Australien und China auch Südamerika als Arbeitsbereich anvertraut worden.
Gepredigt wurde – ob der Herkunft der meisten Gläubigen – vorerst in Deutsch. Als Brasilien allerdings im Zweiten Krieg auf Seiten der Alliierten in den Krieg eintrat, wurde die Sprache verboten. Seitdem ist das landesübliche Portugiesisch dort Gottesdienstsprache.
Den ersten Besuch eines Stammapostels erlebte Brasilien im Jahr 1978 mit Ernst Streckeisen. Ab 1983 gehörte das Land zu zwei unterschiedlichen Bezirksapostel-Bereichen – der Süden zu Argentinien und der Norden als Missionsgebiet zu Nordrhein-Westfalen. Seit 2002 ist Brasilien zusammen mit Bolivien ein eigenständiger Bezirksapostel-Bereich.
Weite Wege in einem Riesenland
Knapp 8000 Mitglieder zählt die Neuapostolische Kirche heute in Brasilien – in einem Land, dass so groß ist, das ganz Europa von Skandinavien bis zum Mittelmeer, von Großbritannien bis zum Bosporus locker hineinpassen würde. „Die Gemeinden gleichen Inseln“, sagt Bezirksapostel Raúl Eduardo Montes de Oca. Was dem Engagement der Glaubensgeschwister jedoch keinen Abbruch tut: Allein für Chor- und Orchesterproben im Vorfeld des Stammapostelbesuchs 2015 bewältigten sie zwischen 350 und 1000 Kilometer Anfahrt – mit dem Bus und auf eigene Kosten.
„Wer da will, der komme …“ könnte das Motto für den diesjährigen Besuch des internationalen Kirchenleiters, Stammapostel Jean-Luc Schneider, lauten. Denn zur Feier des Geburtstags sind zum Festgottesdienst im August alle Kirchenmitglieder Brasiliens eingeladen, die die Reise in den Nordosten Brasiliens möglich machen können. Außerdem auf dem Programm: ein grenzüberschreitender Jugendtag im Süden des Landes zusammen mit jungen Glaubensgeschwistern aus Uruguay sowie Chorkonzerten in den verschiedenen Gemeinden in São Paulo.