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Ein offenes Geheimnis

19 08 2025

Author: Simon Heiniger

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Bibellesen ist keine Rätseljagd, sondern eine wundervolle Entdeckungsreise – mit Christus als Licht und dem Heiligen Geist als Wegbegleiter.

Die Geheimnisse sind göttliche Wahrheiten, die sich dem menschlichen Verstehen entziehen“, so hat es Stammapostel Jean-Luc Schneider einmal formuliert. Paulus bittet im Epheserbrief um Fürbitte, damit er freimütig das Geheimnis des Evangeliums verkündigen könne (Eph 6,19). Jesus selbst spricht zu seinen Jüngern von den Geheimnissen des Reiches Gottes, zu denen noch nicht alle Zugang haben (Mk 4,11). Schon die alten Schriften thematisieren dies: „Fürwahr, du bist ein verborgener Gott“ (Jes 45,15) – und doch „ist ein Gott im Himmel, der Geheimnisse offenbart“ (Dan 2,28).

Wenn der Vorhang fällt

Ein Gott der offenbarte – aber doch verhüllt: nur den Propheten, nur begrenzt und für bestimmte Zeiten. Doch dieser schmale Spalt wird zur offenen Tür: Was Gott zuvor nur andeutete, öffnet er in Christus – exemplarisch sichtbar im Heiligtum. Das Allerheiligste im Tempel blieb verhüllt – bis der Vorhang beim Tod Jesu zerreißt (Mt 27,51). Was hinter Stoff verborgen lag, wird in Christus geöffnet: Zugang zum Heil für alle – nicht als Rätsel, sondern als offenbartes Geheimnis. In Jesus Christus, dem Verheißenen des Alten und Bezeugten des Neuen Testaments, bündelt sich Gottes Offenbarung – niedergeschrieben in der Heiligen Schrift.

Wie bezeugt Jesus in der Heiligen Schrift diese Offenbarung? Es ist nicht einfach. „Das Licht ist in die Welt gekommen, und die Welt nahm es nicht an“ (vgl. Joh 1,9–11). Selbst die Jünger verstanden ihn oft nicht: Fragen, Missverständnisse, verpasste Hinweise (vgl. Mk 8,17–21; Lk 18,34). Hier liegt das Spannungsfeld: Geschichte und Geheimnis. Jesus handelt sichtbar in Raum und Zeit – aber hier geht es nicht nur um Daten und Abläufe, sondern um Bedeutung und Orientierung. „Das Geheimnis Gottes, das Christus ist“ (Kol 2,2) – und zugleich „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Wie passt das zusammen? Die Schrift hält beides zusammen – Grund genug sie aufzuschlagen.

Amt, Geist – und der eigene Griff zur Bibel

Ja, die Apostel sind „Haushalter über Gottes Geheimnisse“ (1 Kor 4,1): Sie verkündigen das Evangelium und legen die Schrift aus. Der Katechismus der Neuapostolischen Kirche betont: Voraussetzung für Kirche ist der Heilige Geist; er macht aus menschlichem Dienst göttliche Wirklichkeit. Und Jesus verheißt den Geist der Wahrheit, der „in die ganze Wahrheit führt“ (Joh 16,13).

Aber: Es wird zum persönlichen Gebrauch motiviert (KNK 1.2.5.3). Die Heilige Schrift ist nicht nur Gottesdienst-Grundlage, sondern Trost, Hoffnung und Wegweisung im Alltag – Zeugnis des Glaubens. Gleichzeitig bleibt klar: Gottes Wahrheit wird nicht erdacht, sondern offenbart. „Meine Gedanken sind höher als eure Gedanken“ (Jes 55,8–9). Darum spricht Paulus davon, dass wir manches nur sehen „wie durch einen matten Spiegel“ (1 Kor 13,12) – aber genug, um uns auf den Weg zu machen.

Nicht im stillen Grübeln

Wie das geschieht, zeigt die Emmaus-Geschichte: Zwei Jünger gehen die Straße hinab. Schritte im Staub und schwere Gedanken. Voller Enttäuschung sprechen sie über „all die Geschichten“. Jesus schliesst sich ihnen unerkannt an. Er hört zu, fragt nach – und beginnt dann, von „Mose und den Propheten“ zu sprechen. Erst später merken sie: „Brannte nicht unser Herz, als er unterwegs mit uns redete und uns die Schrift öffnete?“ (Lk 24,13–35). Christus ist der Schlüssel – so lehrt es auch der Katechismus: Die Heilige Schrift wird von der Person Jesu her verstanden; sie weist auf sein Evangelium.

Wort und Brot, Tischgemeinschaft

Und noch etwas zeigt diese Szene: Erkennen geschieht im Hören und im Mahl. Als Jesus mit ihnen einkehrt, Gemeinschaft hält und das Brot bricht, fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen. So wird deutlich: Glaube wächst nicht allein im stillen Grübeln, sondern in der Gemeinschaft der Glaubenden, in der Kirche, in den Sakramenten. Dort verbindet Christus Worte und Zeichen, Herz und Verstand – und macht aus eigenen Wegen wieder Weggemeinschaft mit ihm.

Segen liegt darin, wenn nicht nur der Geistliche vorbereitet ist, sondern auf eine offene, suchende Gemeinde trifft: Wer zuvor liest, fragt, betet, hört tiefer – und die Predigt kann mehr anknüpfen.

Und so findet die Schrift nicht nur ihren Platz am Altar, sie will mit an den Küchentisch. Warum warten?
Heute noch: ein Kapitel lesen, ein Gebet sprechen, die nächste Gemeinschaft im Gottesdienst suchen – und das Herz wieder brennen lassen.


Foto: KI-generiert

19 08 2025

Author: Simon Heiniger

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