Predigen in die Alltagswelt der jeweiligen Gemeinde: Das machten schon die alten Apostel so. Dazu muss man den Kontext der Zuhörer aber auch kennen – zunächst ein Blick die westliche Welt.
Die westliche Welt hat mehrere Erklärungen für die Realität, die den Menschen verschiedene Bedeutungen liefern. Häufig verwendeter Begriff ist das Wort „Zeitgeist“. Damit ist die Stimmung oder die allgemeine Weltanschauung einer bestimmten Epoche in der Geschichte gemeint.
Modern und postmodern
Der Modernismus war von etwa 1750 bis in die 1960er Jahre das vorherrschende kulturelle Umfeld im Westen. Als Kind der sogenannten Aufklärung vertrat er den Glauben, dass allein die Vernunft zu Wahrheit und Fortschritt führe. Infolgedessen wurden viele Menschen zunehmend misstrauisch gegenüber der Wahrheit und Gültigkeit überlieferter Traditionen (wie etwa der kirchlichen Lehren). Bevorzugt wurden die Freiheit und Autonomie des Individuums, selbstständig zu denken.
Ab den 1960er Jahren kam es zu einer Gegenbewegung, dem sogenannten Postmodernismus. Dieser stellt die Idee der rationalen Beherrschung und des Fortschritts in Frage. Er behauptet, dass es keine objektive Wahrheit gibt. Jeder Anspruch auf Wahrheit sei ein Mittel der Macht und Herrschaft. Es gebe verschiedene Wahrheiten, und jede Wahrheit sei als gleichwertig anzusehen. Vielfalt und Pluralismus seien Dinge, die gefeiert werden müssten.
Das Ergebnis heute: Die meisten westlichen Gesellschaften sind eine Mischung aus Modernismus und Postmodernismus. Alte Gewissheiten sowie religiöse, moralische und kulturelle Grundlagen sind erodiert, was viele Menschen orientierungslos und entwurzelt zurücklässt.
Freiheit und Individualismus
Der größte Glaubenssatz unserer Zeit ist die Vorstellung von individueller Freiheit. Nicht, dass dies an sich etwas Schlechtes wäre, aber die moderne Vorstellung von Freiheit wird oft ohne jede Rechenschaftspflicht ausgeübt. Gott und alle bedeutungsamen Verpflichtungen werden aus dem Bild verdrängt. Es geht um meine Rechte, meine Wahl, meine Meinung und meine Selbstdarstellung. Es ist das Zeitalter des Selfies und der vielen Likes und Follower.
Diese Vorstellung von Freiheit führte zu einem Hyperindividualismus. Meine Freiheit wird völlig unabhängig von anderen ausgeübt. Andere Menschen schränken meine Freiheit ein. Ich kann wählen, was ich will und wer ich sein will (Selbsterschaffung), und es besteht keine Notwendigkeit für langfristige Verpflichtungen, weder persönlicher noch anderer Art.
Glück und Konsum
Freiheit führte auch zu Konsumismus, der mit der Globalisierung des freien Marktes sowie der explosionsartigen Entwicklung von Wissenschaft und Technologie zusammenhängt. Jeden Tag gibt es mehr und mehr Auswahlmöglichkeiten. Wichtig ist nicht so sehr, die richtige Wahl zu treffen, sondern einfach das Recht zu haben, wählen zu können.
Das Problem dabei ist, dass es sich um ein Streben nach Glück handelt, das niemals befriedigt werden kann, sondern uns vielmehr zu Narzissmus, Einsamkeit, Depressionen, Materialismus und Verschuldung führen kann.
Die Vorstellungen von Freiheit und Konsumismus erstrecken sich auch auf den Bereich des Glaubens oder das moderne Verständnis von Spiritualität. Es handelt sich um eine private und persönliche Angelegenheit, die veränderbar ist und aus beliebigen Elementen zusammengesetzt wird, die mir gefallen, und die außerhalb etablierter Traditionen und nach meinen eigenen Vorstellungen ausgeübt wird.
Das Problem: Spirituelle Engagement unterscheidet sich häufig nicht vom Kauf eines Modeaccessoires. Was auch immer ich wähle, spiegelt meine Persönlichkeit wider. Es geht nicht darum, göttliche Wahrheit zu erkennen oder zu erfahren, sich lebenslang zu verpflichten oder grundlegende Veränderungen vorzunehmen.
Wissenschaft und Technologie
Eine der großen Ideen der Moderne ist die Idee des Fortschritts. Es ist sicherlich richtig, dass Wissenschaft und Technologie in vielerlei Hinsicht Verbesserungen des Lebens gebracht haben. Aber die zugrunde liegende Konsumkultur hat zu wachsender wirtschaftlicher Ungleichheit sowie zur Ausbeutung der Ressourcen der Erde und zu wachsenden ökologischen Herausforderungen geführt. Darüber hinaus ist sie für verschiedene Süchte und Ablenkungen wie Materialismus, sozialen Medien und Unterhaltungshunger verantwortlich.
Die Botschaft des Evangeliums
Wie im vorherigen Artikel erwähnt, sollten Prediger, die Bedeutungswelt ihrer Zuhörer verstehen und wie das Evangelium darauf eingehen kann. Die Braut Christi muss durch Wissen und die Verkündigung des Evangeliums dazu befähigt werden, sich kritisch mit den Weltanschauungen unserer Zeit auseinanderzusetzen.
Eckpfeiler der Verkündigung dabei sind: Es gibt einen Gott, der die Quelle der Schöpfung und der Erlösung ist. Alle Wahrheit, alle Absicht und alle Bedeutung sind von Gott gegeben und nicht von uns selbst erfunden oder gestaltet. Die Menschen haben kaum Kontrolle über die Welt oder ihr Schicksal, und alle sind aufgerufen, auf Gott und seine Verheißungen zu vertrauen. Wahre Freiheit bedeutet, von der Sünde befreit zu sein, Gemeinschaft mit Christus und seiner Kirche zu haben und durch die Liebe einander zu dienen.
Foto: Emanuel – stock.adobe.com
Über den Autor

Dr. Markus Cromhout (geb. 1972) ist Theologe bei der Neuapostolischen Kirche Afrika-Süd und in seiner Gemeinde als Evangelist aktiv. Er studierte an der Theologischen Fakultät der Universität Pretoria und promovierte im Neuen Testament. Neben wissenschaftlichen Werken verfasst er auch populärwissenschaftliche Bücher. Zum Thema „Homiletik“ führte er Seminare durch und begleitet mit wöchentlichen Hintergrundbeiträgen.