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Homiletik (10): Den Bibeltext verstehen

11 12 2025

Author: Dr. Markus Cromhout

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Der Leitgedanken-Artikel für den Gottesdienst ist gelesen, man hat sich Gedanken zur Botschaft gemacht und wie sie auf die Gemeinde anwendbar ist.  Jetzt ist es an der Zeit, den biblischen Text zu betrachten. 

Im Katechismus heißt es: „Die Heilige Schrift ist die Grundlage für die Lehre der Neuapostolischen Kirche. Demgemäß gründet die Wortverkündigung in den Gottesdiensten auf der Heiligen Schrift. Sie ist der Ausgangspunkt und die Grundlage für die Predigt” (KNK 1.2.5). 

Verantwortungsbewusstes Lesen

Eine Predigt wird von einem biblischen Text abgeleitet. Und eine der wichtigsten Aufgaben eines Predigers ist es, die Bedeutung des Bibeltextes zu verstehen und den Kontext zu kennen. Um sich dies zu erarbeiten, sind einige Grundkenntnisse wichtig. Warum sind sie wichtig? Manchmal interpretieren wir Bedeutungen in den Text hinein, die gar nicht vorhanden sind, oder wir interpretieren ihn einfach falsch. 

Für viele Christen ist die Bibel eine Quelle des Trostes und der Inspiration. Sie ist aber auch ein rätselhaftes Buch, in dem uns vieles bis heute nicht vollständig bekannt oder verstanden wird. Es ist gut, dass Christen (vor allem Geistliche) die Bibel lesen, aber noch besser ist es, wenn sie dies sachkundig und verantwortungsbewusst tun.

Bibellesen kann man vielleicht mit einer Reise in ein fremdes Land vergleichen. Manche Dinge sind uns vielleicht vertraut, aber man trifft auch auf fremde Bräuche, Sprachen und Werte. Zwischen uns und dem biblischen Text liegen nicht nur Jahrhunderte und fremde Sprachen, sondern oft auch ganz andere Weltanschauungen. Wir müssen zunächst die „Andersartigkeit“ des biblischen Textes und der Menschen seiner Zeit berücksichtigen und verstehen, bevor wir sie auf unsere Zeit anwenden können. 

Exegese, nicht Eisegese

Exegese hat zum Ziel, die ursprüngliche Bedeutung, den historischen Kontext und die Absicht des Autors zu verstehen. Das Wort Exegese geht auf ein griechisches Wort zurück, das als “Herausleiten” gelesen werden kann. Der ursprüngliche Sinn eines Textes soll also “herausgeleitet“ werden. Damit soll vermieden werden, dass man die eigene Bedeutung in einen Text „hineinlegt“ (Eisegese). 

Wie lässt sich also eine grundlegende Exegese durchführen? Einige Fragen, die wir uns stellen können, sollen uns dabei helfen:

  • Was ist der literarische Kontext des Bibeltextes? Was sagt uns dieser Abschnitt über die Bedeutung?
  • Wo beginnt und endet dieser größere Sinnabschnitt (auch Perikope genannt)? Wie ist die literarische Struktur? Gibt es Schlüsselwörter in dem Text? Wie fügt sich der Abschnitt in das Bibelbuch als Ganzes ein?
  • Um welche Art von Literatur (Genre) handelt es sich? Gibt es typische Ansätze zur Interpretation dieses Genres?
  • Werden in dem Text andere biblische Texte zitiert oder angedeutet?
  • Wie versucht der Text, sein ursprüngliches Publikum zu beeinflussen, und welche Strategien verwendet er, um eine Änderung im Denken oder Verhalten zu bewirken?

Und diejenigen, die sich für einen eher wissenschaftlichen und historischen Zugang zur Heiligen Schrift interessieren, können sich fragen:

  • In welchem historischen Kontext steht der Text und das gesamte Buch? Wer hat es verfasst – wann, wo und mit welchem Zweck?
  • Was war die Weltanschauung der ersten Leser? Welche kulturellen Werte, traditionellen Bräuche und Überzeugungen hatten sie? 
  • Gibt es archäologische Erkenntnisse, die uns helfen können, diese Passage zu verstehen?

Lesen und Auslegen: Jesus Christus ist die Mitte

Darüber hinaus sind die folgenden Überlegungen für das Predigen noch wichtiger. Im Katechismus heißt es: „Jesus Christus ist die Mitte der Schrift” (KNK 1.2.5.2). Seinen Jüngern sagte Jesus bereits: „Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose und in den Propheten und Psalmen. Da öffnete er ihnen das Verständnis, dass sie die Schrift verstanden“ (Lukas 24,44–45). 

Das gilt natürlich für das Neue Testament, aber es ist auch ein wichtiger Grundsatz für unseren Umgang mit dem Alten Testament. Der christozentrischer Ansatz geht davon aus, dass das oberste Ziel, der Zweck und die endgültige Bedeutung des gesamten Alten Testaments in der Person und dem Werk Jesu Christi zu finden ist. Das bedeutet auch, dass nicht alles, was im Alten Testament steht, für den christlichen Glauben relevant ist. 

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Autoren des Neuen Testaments das Alte Testament auf eine Weise zitierten und auslegten, die über die ursprüngliche Intention des alttestamentlichen Autors hinausgeht. Der Verfasser hatte tatsächlich oft nie die Absicht , über Christus zu schreiben. Dies ist zum Beispiel der Fall mit Psalm 22, in dem der Psalmist sein eigenes Leiden und seine Qual schreibt, doch in der Kreuzigung Christi findet der Psalm seine tiefste und endgültige Erfüllung. Theologen bezeichnen diese Art, den Text zu lesen, als sensus plenior („der tiefere Sinn“), der sich auf einen tieferen Sinn bezieht, der von Gott, aber nicht notwendigerweise vom menschlichen Autor beabsichtigt ist und der erst im Licht der späteren Offenbarung deutlich wird: also Jesus Christus, das Neue Testament und, wie wir können hinzufügen können, die Vollmacht des Apostelamtes zur Auslegung der Schrift.

Der Bibeltext in der Predigt

Wenn wir den Kontext eines Bibeltextes kennen und verstehen, kann das eine Predigt sehr bereichern. Und wenn wir ihn der Gemeinde erklären, hilft es den Geschwistern dabei, die Bibel besser zu verstehen. Geschichtlichen Erläuterungen sollten jedoch kurz sein, da sich die Predigt auf die Botschaft konzentrieren muss.

Und schließlich sollten wir bedenken, dass der Bibeltext oft nur zu Beginn des Gottesdienstes einmal gelesen, dann jedoch schnell vergessen und nicht wieder aufgegriffen wird. Der Bibeltext ist jedoch die Grundlage unserer Predigt und sollte im Verlauf der Predigt immer wieder aufgegriffen werden.


Foto: kirania – stock.adobe.com

Über den Autor

Dr. Markus Cromhout (geb. 1972) ist Theologe bei der Neuapostolischen Kirche Afrika-Süd und in seiner Gemeinde als Evangelist aktiv. Er studierte an der Theologischen Fakultät der Universität Pretoria und promovierte im Neuen Testament. Neben wissenschaftlichen Werken verfasst er auch populärwissenschaftliche Bücher. Zum Thema „Homiletik“ führte er Seminare durch und begleitet mit wöchentlichen Hintergrundbeiträgen.

11 12 2025

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