Erst Ja, dann Nein – aller Anfang ist schwer

Wer die Entstehung der Neuapostolischen Kirche verstehen will, braucht einen langen Atem. Viele Handlungen sind für den modernen Menschen heute schwer verstehbar, es herrscht vielfach ein großes Durcheinander. Die heute so gewohnt und routiniert wirkende Liturgie und Hierarchie der Kirche war nicht bekannt. Bewegungen der Erweckungszeit machen ihre Entwicklung vollständig mit dem Heiligen Geist ab. So auch die damals schon recht etablierte Katholisch-apostolische Gemeinde (KaG). Zwölf Apostel waren in den 1830er Jahren berufen worden und regierten die Kirche nach urchristlichem Muster. An ihrer Seite stand eine Vielzahl weiterer Kirchendiener mit heute zum Teil schwer klingenden Amtsbezeichnungen.

Doch allmählich formte sich ein klares Bild, oder wie es der bekannte Konfessionskundler Prof. Dr. Helmut Obst in seinem Buch „Apostel und Propheten der Neuzeit“ formulierte, übernahmen die Apostel mehr und mehr die Kirchenleitung. Prophetische Rufungen und Weissagungen gab es immer noch – sie waren elementar für die jungen Bewegung und ein Ausweis für die Anknüpfung an das Urchristentum – doch wurden sie zunehmend von den Aposteln autorisiert, also entweder anerkannt oder verworfen.

Zwölf oder mehr?

1862 ist ein wichtiges Datum im Kalender der KaG. Die englischen Apostel hatten sich damit abgefunden, dass es außerhalb der bereits berufenen Zwölfzahl von Aposteln keine weiteren geben könnte. Ein Apostelwirken ohne sie kam in ihrem Denken nicht vor. Bisherige Diskussionen darüber waren jeweils abschlägig beschiedenen worden. Mit ihrem Tod würde das Apostelamt enden und die Kirche durch Erzbischöfe (auch Erzengel genannt) fortgesetzt.

Damit war der seinerzeit sehr einflussreiche Prophet Heinrich Geyer nicht einverstanden. Er verstand sich als Sprachrohr Gottes und treuer Diener seiner Kirche. Seine Auffassung war, dass die englischen Apostel zu Unrecht handelten, wenn sie eine Ergänzung des Apostelkreises ablehnten und entsprechende Weissagungen als ungültig betrachteten. Er war gewillt, in Deutschland weitere Apostel zu berufen.

Apostolisch ohne Apostel

Der erste dieser neu berufenen Apostel war der Maurermeister mit eigenem Baugeschäft, Rudolf Rosochacky (1818-1884). Ihn rief Geyer am 10. Oktober 1862 im Verlauf einer Reise mit dem Apostel Francis Valentine Woodhouse nach Königsberg. Woodhouse erfuhr davon nichts. Später rechtfertigte Geyer sein heimliches Vorgehen damit, dass er den rechten Zeitpunkt für ein öffentliches Auftreten des ersten Apostels abwarten und solange Unfrieden in den Gemeinden vermeiden wolle. Erst im Januar 1863 trat Rosochacky öffentlich in Hamburg als Apostel auf. Am 4. Januar erschien er im dortigen Gottesdienst in einem liturgischen Gewand, das Aposteln vorbehalten war. Fast die ganze Gemeinde unterstellte sich ihm.

Er selbst hatte offenbar damit gerechnet, dass Gott sich zu seinem apostolischen Auftrag eindeutig bekennen und die englischen Apostel ihn anerkennen würden. Doch das geschah ganz und gar nicht. Und so gab Rosochacky seine Aposteltätigkeit auf und forderte in einem Brief vom 17. Januar seine Anhänger in Hamburg auf, sich wieder unter die Leitung der englischen Apostel zu stellen. Rosochacky kehrte in seine Heimatgemeinde Königsberg zurück und übernahm dort die Leitung der großen Ortsgemeinde.

Die meisten Hamburger Gemeindemitglieder blieben unter sich, es entstand eine apostolische Gemeinde ohne Apostel. Apostel Woodhouse blieb keine Wahl: Er sprach über die gesamte Gemeinde die Exkommunikation aus. So entstand in Hamburg die erste Gemeinde der späteren Neuapostolischen Kirche.

Drei Wochen später, am 8. Februar 1863, wurde der Priester Carl Wilhelm Louis Preuß durch verschiedene Weissagungen aus der Gemeinde zum Apostel gerufen und nach einer weiteren prophetischen Aufforderung am 18. März feierlich ausgesondert – ohne Zutun von Geyer.

Zur weiteren Recherche: „Unterwegs zur Neuapostolischen Kirche“