Weder ausgrenzen noch verurteilen – sondern die Seele sehen, dazu hat der Stammapostel kürzlich ausgerufen. Doch die Wirklichkeit sieht manchmal anders aus. So hat es Sandra erlebt. Ihr Problem: wen sie liebt und wie andere damit umgehen.
Sandra heißt nicht Sandra, sondern ganz anders. Und eigentlich hätte sie sich gerne hier und jetzt öffentlich geoutet. Um eine Lanze zu brechen, für alle, denen es ähnlich geht wie ihr. Doch für ihren Arbeitgeber geht sie in Länder, in denen ihr Gefängnisstrafe oder gewalttätige Übergriffe drohen, wenn es öffentlich wird: Sandra ist homosexuell.
Der innere Druck
„Mir war das eigentlich schon von Kindheit an klar, dass ich doch ein bisschen anders bin als die anderen“, erzählt sie. In wie fern, das zeigt sich wenig später: „Ich verliebte mich nicht in Jungen, sondern eher in Mädels.“
Doch dazu bekennen? Sie erlebte, wie ihre Altersgenossen in der Schule über Homosexualität herzogen. Außerdem: „Dieser Druck, den man sich innerlich selber macht. Was passiert, wenn Mama und Papa damit nicht klarkommen?“ Aus Angst schwieg sie. Aber: „Wenn ich immer so tue, als wäre ich jemand, der ich nicht bin, dann macht das etwas mit meiner Psyche.“ Sandra litt.
Die ersten Reaktionen
Ihre Sorge war nicht unbegründet. „Meine Mutter war im ersten Augenblick ganz schockiert“, berichtet Sandra vom „Geständnis“ am Strand. „Kriege ich jetzt jemals Enkelkinder“, lauteten die ersten Kommentare. „Ich habe gedacht, ich könnte dich irgendwie zum Traualtar …“ Indes: „Im nächsten Moment war es dann aber okay.“
„Mein Vater konnte da anfangs nicht so drüber sprechen. Der hat ein bisschen länger gebraucht dafür, auch weil er nun mal sein ganzes Leben in diesem sehr konservativen Kontext in der Kirche mitgewirkt hat.“ Dabei hat sie die Ebene der Bezirksämter im Blick. „Und das macht natürlich dann auch was mit den Eltern. Wie werden wir jetzt wahrgenommen, wenn unsere Tochter anders ist?“
„Aber ich kann mich nicht beschweren“, betont Sandra. „Meine Eltern haben immer hinter mir gestanden, auch wenn das anfangs gar nicht so leicht für die beiden war. Denn sie mussten sich erst mal mit der Thematik auseinandersetzen.“
Seelen, die Fürsorge brauchen
Das war vor rund 20 Jahren. „Damals wurde das Thema Homosexualität noch nicht so gehypt wie heute“, blickt Sandra durchaus kritisch auf einen gewissen Aktivismus. Und in den Gemeinden und Bezirken „hat sich in den letzten zehn Jahren noch sehr viel gewandelt“. Doch damals: „Ich hatte durchaus eine Phase, da bin ich nicht mehr regelmäßig in die Kirche gegangen. Ich hatte so diese inneren Kämpfe mit mir. Und da bin ich nicht alleine damit. Es geht vielen in meiner Situation so.“
In den Predigten fand Sandra ihre Nöte nicht wieder. Auch in der Seelsorge fühlte sie sich nicht gut aufgehoben. Etwa als ein Amtsträger zu ihr sagte: „Ja, das ist vielleicht nur so eine Phase, das geht vielleicht vorbei.“ Das sei sicher wohlmeinend gewesen, fühle sich aber nach Ablehnung an. Derartige Ratschläge würden auch heute noch gegeben, kennt sie ein ganz aktuelles Beispiel. Deshalb hält sie es für sinnvoll, die Seelsorger für solche Situationen zu schulen.
Für problematisch hält Sandra es, Betroffene dazu zu überreden, ihre Homosexualität einfach zu ignorieren und trotz aller Unklarheiten eine heterosexuelle Partnerschaft einzugehen. „Daraus kann viel Leid entstehen.“ Denn sie kennt Fälle aus anderen Kontexten, wo Ehen zerbrachen und vor allem die Kinder zu leiden hatten, weil ein Partner sich erst spät zu seinen Präferenzen bekannte.
Manchmal geht nur ein Spagat
Doch Sandra weiß auch sehr gut, dass es Situationen gibt, wo man nicht so eindeutig zu seiner Homosexualität stehen kann. Etwa wenn Dienstreisen anstehen in Ländern, wo homosexuelle Handlungen mit jahrelanger Haft oder der Hinrichtung bestraft werden. Da tut es dann schon ein entsprechender Ring an den Finger, um als verheiratet oder verlobt durchzugehen.
„Ich weiß, dass es nicht die Wahrheit ist“, räumt sie ein, „doch in diesem Kontext hat der Schutz meines Lebens dann eine höhere Priorität.“ Deshalb kann sie durchaus den Spagat der Kirche verstehen zwischen den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Teilen Europas und Nordamerikas einerseits sowie in Teilen Afrikas und Asiens andererseits.
Dankbar für die Vielfalt
„Große lieben Kleine, Dicke lieben Dünne, Frauen lieben Männer, Männer lieben Frauen, Frauen lieben Frauen, Männer lieben Männer“, sagt Sandra. „Das verbindende Element ist immer die Liebe.“ Und zwar erst recht im künftigen „Himmel, wo wir nicht mehr geschlechtlich voneinander getrennt sind und nur die Seelen aufeinandertreffen.“
Ihr Appell an ihre Glaubensgeschwister: „Seid dankbar, dass ihr so tolle Geschwister unter euch habt, die so eine unglaubliche Vielfalt mitbringen – auch wenn sie ein bisschen anders sind. Seid lieb und tolerant zueinander“. Denn: „Letztlich zählt wirklich nur die Liebe.“
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