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Homiletik (7): Predigen zwischen Kollektiv und Tradition

18 09 2025

Author: Dr. Markus Cromhout

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In Afrika, insbesondere südlich der Sahara, funktioniert das Predigen anders als im Westen. Eine unterschiedliche Entwicklungsgeschichte und traditionelle kulturelle Werte erfordern einen eigenen Ansatz.

Im Allgemeinen leben die Menschen in Afrika in einer Welt, der Geheimnis und Transzendenz erhalten geblieben ist. Es ist eine Welt, in der Gott, der Ahnenkult, die Geister, die Natur, die Menschen und die soziale Interaktion Teil eines integrierten Ganzen sind. Es gibt nichts „Übernatürliches“ an sich, sondern alles ist Teil der menschlichen Grunderfahrung.  

Die afrikanische Weltanschauung ist also ganzheitlich und gemeinschaftlich geprägt. Sie schätzt die Weisheit der Vorfahren, mündliche Überlieferung und die Verflechtung von spirituellen, sozialen und ökologischen Aspekten. Sie legt den Schwerpunkt auf Zusammengehörigkeit und Gruppenidentität, ein Merkmal, das stark an die soziale Struktur in Zeiten der Bibel erinnert. Die Beziehung, die man zu seinem Nächsten, zu Gott oder zu den Vorfahren hat, wirkt sich auf alles andere aus.  Das Ziel ist es, im Einklang mit den Traditionen der Vorfahren sowie mit allen Mächten und Wesen der Welt zu leben. 

Kollektivismus

Ähnlich wie die Menschen in biblischer Zeit zeichnen sich traditionelle afrikanische Gesellschaften durch Kollektivismus aus. Das heißt die Menschen verstehen sich als Teil einer größeren Gruppe (also der Familie, des Clans, des Stammes) und es wird von ihnen erwartet, dass sie deren Werte verkörpern. Die Identität des Einzelnen wird durch die Gruppenidentität bestimmt.

Hier haben die Menschen großen Respekt vor Tradition und Autorität. Von den Gruppenmitgliedern wird erwartet, dass sie den Status quo nicht in Frage stellen, sondern vielmehr dazu beitragen, den sozialen Zusammenhalt der Gruppe aufrechtzuerhalten. Dieser hat Vorrang vor der persönlichen Unabhängigkeit. Die Älteren werden verehrt und die Traditionen der Vorfahren aufrechterhalten, um Harmonie und Segen zu erfahren. 

Vermittler 

In traditionellen afrikanischen Religionen gibt es mehrere Kategorien von Vermittlern, die den Zugang zum höchsten Wesen (Gott) ermöglichen.

Zunächst gibt es die Vorfahren oder die sogenannten lebenden Toten. Gott beziehungsweise das höchste Wesen wird als „weit weg“ und fernab vom täglichen Leben verstanden. Die Vorfahren fungieren als Vermittler. Es wird davon ausgegangen, dass sie aus eigener Autorität heraus handeln können. Die Vorfahren sind den Lebenden „näher“ und man geht davon aus, dass sie aktiv am Wohlergehen der Gemeinschaft beteiligt sind. Sie sind sowohl die Quelle als auch Hüter der sozialen Werte, des Zusammenhalts und der Moral einer Gemeinschaft.

Zweitens gibt es Wahrsager. Sie wenden sich an die Ahnen und bitten sie um Erfolg bei ihren Heilmethoden, um Führung und Wissen, oder um die Vorhersage der Zukunft in verschiedenen Angelegenheiten des täglichen Lebens. Wahrsager genießen im Allgemeinen großen Respekt. Die Gemeinschaft schätzt sie als Freunde. Als Freunde und Beschützer decken sie mit verschiedenen Mitteln auch die Identität von Hexen auf und schützen die Menschen vor bösen Mächten wie der Hexerei.

Darüber hinaus gibt es Kräuterkundige, die spirituelle Einsichten mit botanischem Wissen verbinden, um Krankheiten ganzheitlich zu behandeln. Es gibt Priester, die Heiligtümer hüten und Opferrituale und Gottesdienste durchführen. Regenmacher schwören den Regen herbei, um die Ernte zu sichern. Propheten treten in Krisenzeiten auf und fordern durch göttliche Offenbarung moralische Erneuerung, während rituelle Älteste Übergangszeremonien überwachen.

All dies hat Auswirkungen auf die Rolle Christi als einziger Mittler zwischen Gott und den Menschen (Hebräer 9,15; 1. Timotheus 2,5), sowie auf das von ihm gesandte Apostelamt, das in einem Spannungsverhältnis zu den traditionellen Vermittlern göttlicher Weisheit, Heilung, Schutz und Heil steht. Darüber hinaus wirkt sich unser Verständnis der Entschlafenen und ihrer Heilsbedürftigkeit auch auf den traditionell hohen Status aus, den die Ahnen genießen.  

Hexerei

Die Hexerei stellt für viele Menschen in Afrika ein gravierendes Problem dar.  Sie glauben, dass Hexerei mittels übernatürlicher Kräfte im Stande ist, anderen zu schaden (durch Krankheit, Tod, Pech, materiellem Verlust, finanzielle Probleme und Beziehungsprobleme). Sie gehen davon aus, dass alle Ereignisse im Leben – ob gut oder schlecht – das Ergebnis persönlichen Handelns sind und glauben, dass diese Ereignisse durch jemandem wie Gott, den Vorfahren, einem eifersüchtigen Verwandten oder einer Hexe verursacht werden. Und sie fragen sich: Wer hat mir das angetan?

Diejenigen, die von Hexerei betroffen sind, empfinden Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Zur Heilung von Krankheiten oder zum Schutz vor Hexerei konsultieren die Menschen Wahrsager oder Kräuterkundige.  Viele geben viel Geld aus (oder bezahlen mit Vieh), um „Medizin“ oder „gute Magie“ zu kaufen und sich von dem Unglück zu befreien. Eine der wichtigsten Funktionen der traditionellen afrikanischen Religion ist tatsächlich, die Menschen vor Hexerei zu schützen. Menschen beteiligen sich auch häufig an Hexenjagden und Hexenmorden. Manchmal werden unschuldige Menschen (sogar Kinder) aus Eifersucht der Hexerei beschuldigt.

Christentum

Mit dem wachsenden Einfluss des Christentums wird die Kirche inzwischen als alternative Vermittlungsinstanz und vor allem als eine Institution gesehen, die Heilung und Schutz bietet. Viele lokale „Propheten“ und Prediger ersetzen oder ergänzen die Rolle der traditionellen Vermittler. Selbst die Wassertaufe wird als „Medizin“ gegen Hexerei angesehen.

Die Menschen verlassen zu Tausenden die Kirchen, die die Bedrohung durch Hexerei nicht ernst nehmen. Sie kehren zur traditionellen afrikanischen Religion zurück oder gehen zu unabhängigen afrikanischen Kirchen, die von lokalen „Propheten“ gegründet wurden und das Christentum mit der traditionellen afrikanischen Religion verbinden, um „Heil“ zu finden. Im Mittelpunkt des „Heils“ steht nicht so sehr ein zukünftiges Ereignis (also die Wiederkunft Christi), sondern das gute Leben im Hier und Jetzt. 

Die afrikanische Bevölkerung steht zunehmend unter dem Einfluss sowohl des Christentums als auch westlicher Werte, bekräftigt jedoch gleichzeitig zunehmend ihre afrikanische Identität und ihre Werte, die auf verschiedene Weise das eurozentrische Verständnis des Christentums oder westlicher Werte ergänzen oder ablehnen. Der Hauptzweck der Predigt besteht darin, die Menschen dort abzuholen, wo sie sich befinden, das Gute zu bekräftigen und sie letztlich auf die allein gültige Vermittlung und Heilswirkung Christi sowie die Rolle der von ihm gesandten Apostel hinzuweisen. 


Foto: Espresso – stock.adobe.com

Über den Autor

Dr. Markus Cromhout (geb. 1972) ist Theologe bei der Neuapostolischen Kirche Afrika-Süd und in seiner Gemeinde als Evangelist aktiv. Er studierte an der Theologischen Fakultät der Universität Pretoria und promovierte im Neuen Testament. Neben wissenschaftlichen Werken verfasst er auch populärwissenschaftliche Bücher. Zum Thema „Homiletik“ führte er Seminare durch und begleitet mit wöchentlichen Hintergrundbeiträgen.

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