100 Jahre Kombi-Hostie: Auch der Kelch ist Kombi

Die Form folgt dem Inhalt: Als die betupfte Hostie beim Heiligen Abendmahl den Weinkelch verdrängt, kommt auch ein Gestaltwandel bei den Altargefäßen in Gang – bis eine ganz eigene Kombination entsteht.

Seinen Platz hat er nah beim Dienstleiter auf dem Altar in der Traditionsgemeinde Frankfurt-West (Deutschland): dieser ornamental verzierte Kelch, ohne Metalldeckel, aber mit einem Tüchlein bedeckt. Ja, ist denn das eine ordentliche neuapostolische Patene? Also: Erstens heißt das nicht Patene. Und zweitens erzählt der Kelch ein gutes Stück neuapostolische Geschichte.

Diese beginnt 1917: Aus hygienischen, aber auch wirtschaftlichen Gründen wird der Wein nicht mehr im Kelch, sondern in Form von Tropfen auf den Hostien zum Heiligen Abendmahl gereicht. „Die großen Abendmahlskannen brauchen infolgedessen nicht mehr auf den Altar gestellt zu werden, sondern nur die Kelche und Patenen“, schreibt Apostel Johann Gottfried Bischof 1919 an seine Amtsträger.

So berichten die Fotos bis in die 40er Jahren von einer bunten Vielfalt an liturgischen Geräte auf den Altären. Kein Wunder, hat doch die Geschichte des Christentums den Tisch des Herrn mit Abendmahlsgeschirr reich gedeckt. Da gibt es Kelche ohne und mit Deckel; letztere heißen „Ziborien“. Hostien finden Platz in Schalen und auf Tellern; letztere heißen „Patenen“. Und der Weinkelch ist rundum gut betucht – mit Stoffstücken (Paramenten) zum Draufstellen (Korporale), Abwischen (Purifikatorium), Zudecken (Palla) und sogar zur Komplettverhüllung (Velum).

Prototyp einer neuen Form

Fotos aus den 50er Jahren zeigen plötzlich einen Trend zur Einheitlichkeit. Verstärkt taucht ein Kelch auf, der nicht nur in seiner Bauchigkeit zum Prototyp dessen wird, was man später als typisch neuapostolisch erkennt. Pragmatisch kombiniert das Gefäß die Traditionen: Die Patene wandert als Einsatzschale in den Kelch, der sich per Metalldeckel als Ziborium ausweist. Krönung ist das Kreuz darauf. Und das ganze Gefäß kommt in nüchterner Gestaltung daher.

Hergestellt wurde dieses Modell zunächst in Süddeutschland. Die neuen liturgischen Geräte wurden als Rohlinge eingekauft und in Cannstatt endgefertigt: Dazu gehörte das Beschichten von Innen und Außen, die Montage des Kreuzes und das Aufpolieren der Oberfläche. Das berichtet Christoph Müller aus Wurzen (Ostdeutschland), der als Metalldrücker heutzutage Abendmahlskelche für die Neuapostolische Kirche herstellt.

Woher er das so genau weiß? Schon sein Vater hat das Handwerk ausgeübt, und eben diese Gestaltung nachgebaut. Ein Bezirksältester habe das Ziborium aus Westdeutschland in die damalige DDR mitgebracht, damit auch dort die Produktion der „neuen Form“ beginnen konnte.

Vielfalt auf dem Altar

Eine gewisse Vielfalt ist indes geblieben: Allein in Deutschland seien rund ein Dutzend verschiedene Ziborien im Einsatz, schätzt Christoph Müller. Angefangen von den einfachen Nachkriegsmodellen aus Blech bis hin zu den Exemplaren aus Kupfer oder Messing, mal mehr oder weniger bauchig, mit hohen oder niedrigen Standfuß, der Deckel mit Kirchenemblem oder Kreuz, letzteres massiv oder als Umriss.

In afrikanischen Ländern können die liturgischen Geräte aus gedrehtem oder sogar geschnitztem Holz bestehen. Eigens für die Missionsreisen entstanden flache Hostienschalen mit Deckeln, aber ohne Standfuß, die sich leichter transportieren lassen. Jene Modelle sind es, die zum Beispiel beim Europa-Jugendtag 2009 oder Internationalen Kirchentag 2014 im Einsatz waren und aktuell in Indien hergestellt werden.

Besonders wertvolle und aufwendig gestaltete Abendmahlskelche findet man auch heute noch vereinzelt. Gerade im Raum Hessen hüten manche Gemeinden ihre alten Schätzchen aus den frühen neuapostolischen Jahren. Wie etwa Frankfurt-West, ja genau, die Gemeinde mit dem Tüchlein – oh, pardon: mit dem Parament – auf dem Kelch.

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Sebastian Müller-Bahr, Andreas Rother
30.08.2017
Altar, Heiliges Abendmahl, Konfessionen, Gemeindeleben