„Kirche nicht von Eltern geerbt, sondern von Kindern geliehen“

Offenheit war sein zweiter Vorname, die Zukunft der Kirche sein Herzensanliegen. In einer Woche geht der weltweit dienstälteste Bezirksapostel in den Ruhestand: Was zeichnet ihn aus – diesen Wilfried Klinger?

„Was hat Ihnen Daimler geboten?“ – Diese Frage hörte der Qualitätsmanager Klingler, als er bei Volkswagen kündigte. Im Juni 1949 geboren, in der Gebietskirche Nordrhein-Westfalen aufgewachsen, zum Studieren nach Niedersachsen gewechselt, stand der Maschinenbauer 1987 vor der Herausforderung seines Lebens. Allerdings nicht als Führungskraft in der Auto-Industrie, sondern als ein Apostel Jesu Christi.

„Willst du mich alleine lassen?“ – Diese Frage hörte er nur sechs Jahre später, als er sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte, Bezirksapostel und Kirchenpräsident zu werden – zunächst in Niedersachsen, später in Sachsen-Anhalt und Sachsen/Thüringen. So unpassend erschien es ihm selbst: einer wie er, für eine Aufgabe wie diese. Doch der Mann brennt für seine Sache. Und das ist die Sache, die getan werden muss.

Ein Mann für besondere Fälle

Bezirksapostel Klingler, ein Mann für besondere Fälle: Er war Mitglied im „Gremium für besondere Angelegenheiten“, als das Thema „Aussteiger“ in Deutschland gerade besonders hohe Wellen schlug. Er gehörte mit zu den Wegbereitern der Versöhnung mit der Apostolischen Gemeinschaft. Und er leitete die Koordinationsgruppe, das Zentralgremium aller kirchlichen Arbeits- und Projektgruppen, in der spannungsreichen Zeit, als das Grundlagenwerk „Katechismus“ entstand.

Gaben, die ihn für solche Aufgaben befähigen, besitzt er reichlich: Herzlichkeit, Gewandtheit, breites Interesse, umfassende Bildung, schnelle Auffassung, analytischen Verstand. Vor allem aber: Offenheit. Die Offenheit für die Vielfalt des Denkens, Glaubens und Lebens. Uniformität ist ihm ein Graus. „Wir sind doch keine Schokohasen-Christen – außen alle gleich hübsch und innen hohl“, sagt er ganz gerne.

Gestalter und Reform

Wilfried Klingler ist ein Gestalter. Dabei prägen ihn zwei Dinge: die Erklärung zur Eigenverantwortung von Stammapostel Hans Urwyler. Und das unter Stammapostel Richard Fehr veröffentlichte „Leitbild Führen und Dienen“. Ein Jahr nach dessen Erscheinen startet er 2002 einen Reformprozess: Passt das Leitbild? Wo fehlt es noch? Was muss sich ändern? Diese Fragen gehen in seinem Arbeitsbereich an Jugendleiter, Gemeindevorsteher und Bezirksämter. „Auch Querdenker werden gebraucht“, sagt er dazu in einer Gottesdienst-Übertragung.

Was als organisatorisches Verfahren beginnt, mündet in einer geistlichen Entwicklung. Es entsteht die Gemeinde-Vision 2010/2014, ein Zehn-Punkte-Programm für den Weg in die Zukunft. Dazu zählen etwa: die Gemeinde als Mittelpunkt, Anker und Motor, christliche Führung aus innerer, nicht formal-äußerer Autorität, aufrichtiger und gütiger Umgang mit Schwächen und Konflikten. Mit Hilfe von Resonanzgruppen wird dieses Programm an der Kirchenbasis fortgeschrieben.

„Allein Gott gebührt die Ehre!“

Ja, Bezirksapostel Klingler ist ein Reformer, der wie wenige andere der Kirche viele zukunftsweisende Impulse gegeben hat. Das hat nicht jedem gefallen. Und manchmal gerät man in einen schmerzlichen Spagat – etwa, wenn sich in der eigenen Gebietskirche eine Welle der Kritik gegen das frisch veröffentlichte Kirchenverständnis erhebt. Das hinterlässt Spuren.

„Wir haben die Kirche nicht von unseren Eltern geerbt, sondern von unseren Kindern geliehen.“ Dieser Gedanke war Wilfried Klingler Triebfeder in seiner Arbeit. Allerdings gibt es da etwas, was ihm noch wichtiger war: ein Glauben und ein Dienen, das Jesus Christus in den Mittelpunkt stellt. Und so klingt dann auch das Motto, unter dem der Stammapostel-Besuch zu seiner Ruhesetzung am 19. Juni 2016 steht: „Allein Gott gebührt die Ehre!“


Hinweis der Redaktion: In einer vorherigen Version dieses Artikels stand, Wilfried Klingler sei in Nordrhein-Westfalen geboren. Sein Geburtsort liegt allerdings geographisch in Niedersachen und gehört nur kirchlich nach Nordrhein-Westfalen. Wir haben die Formulierung korrigiert und bitten den Fehler zu entschuldigen.

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