Seelsorge (13): Zwischen „langweilig“ und „spannend“
„Boah, war das langweilig heute Abend.“ Der Priester hatte seinen Besuch angekündigt und die ganze Zeit über persönliche Vorlieben gequatscht. Das Urteil darüber fällt vernichtend aus. Echtes seelsorgerisches Interesse sieht anders aus.
Ein Klischee? Ja, so ist es Gott sei Dank nicht. Dennoch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass ein „erfolgreicher“ Besuch bei Glaubensgeschwistern andere Maßstäbe hat als das Erzählen alter Urlaubsgeschichten. Die nämlich werden eher als problematisch und kritisch empfunden.
Die Kommunikation über Glaubensthemen steht im Mittelpunkt und hat andere Motive: Wertschätzung des Gegenübers, Erkenntnisgewinn durch Inspiration des Heiligen Geistes und Lehren aus biblischen Ereignissen, die für das eigene Leben interessant sein könnten. Ein guter Seelsorgebesuch ist wie eine Schatzsuche.
Im Rollenbild bleiben
Zum einen sind die Seelsorger verpflichtet, regelmäßig über die Qualität ihrer Seelsorgebesuche nachzudenken. Sie haben sich schließlich einen gewissen Ruf erarbeitet, zum Guten oder zum Schlechten. Ein Amtsträger, der zuhören kann und die Schweigepflicht ernstnimmt, erfährt mehr von den Sorgen der Glaubensgeschwister. Einer, der nicht immer sofort alles weiß und nicht auf alles eine – manchmal triviale – Antwort hat, wird als guter Gesprächspartner empfunden. Vertrauen gegen Vertrauen ist die Devise eines gelingenden Glaubensgespräches und will verdient sein.
Die Glaubensauffassung des einen unterscheidet sich von der des anderen – eine bekannte Wahrheit. Wenn der Amtsträger alles „gleichschalten“ will, begeht er einen Fehler. Private Ansichten erzählt man eben nicht allen, sondern nur ausgewählten Personen. Hier spielt nicht das System Kirche oder die Amtsautorität die primäre Rolle, sondern die Frage nach einer belastbaren Vertrauensbasis. Wenn der Seelsorgebesuch als eine Art Hausfriedensbruch empfunden wird, ist er kein Gewinn, sondern eine Last. Der vom Apostel ordinierte Amtsträger übernimmt ein Rollenverständnis, nämlich ein vertrauenswürdiger, verantwortungsvoller, verschwiegener Diener Gottes sein zu wollen.
Auf alte Werte neu besinnen
Natürlich hat auch diese Medaille eine andere Seite: Nicht immer ist es der Amtsträger, der Vertrauen schuldig bleibt. So unterschiedlich die Menschen sind, so unterschiedlich sind auch ihre Charaktere. An die Bedeutung von Ordination muss man auch glauben wollen! Nicht allen Glaubensgeschwistern ist bewusst, welche Bedeutung die Ordination hat, was sie mit dem Amtsträger macht und welche Auswirkungen damit für die Seelsorge allgemein und für sie konkret verbunden sind. Auch wenn in der Gesellschaft das Amt an Bedeutung verlieren mag, muss das noch lange nicht für den einzelnen Amtsträger gelten. Man darf nicht für die Fehler einzelner alle haftbar machen.
Es gibt viele Gründe, einen Seelsorgebesuch zu verneinen: Seelsorgebesuche konkurrieren mit einer großen Vielfalt von Angeboten: Freizeit, Interessen, sportliche Aktivitäten oder auch einfach nur das Erschöpftsein nach einem langen Arbeitstag – das Angebot der Kirche, abendliche Seelsorgebesuche durchzuführen, ist nicht ohne Alternative. Es braucht Geduld und Nachsicht für eine terminliche Übereinkunft.
Viele Beziehungen vollziehen sich heute auch in konfessionsverbindenden Partnerschaften. Der nicht-neuapostolische Partner ist an dem Besuch eines neuapostolischen Seelsorgers nicht interessiert oder lehnt ihn ab. Der neuapostolische Partner verzichtet in diesem Fall lieber auf den Besuch, um einen Konflikt innerhalb der Partnerschaft zu vermeiden.
Vorteile überwiegen
Wo liegen die Vorteile für einen Seelsorgebesuch im Vergleich zu den anderen seelsorgerischen Betreuungsmöglichkeiten? Eine interessante Frage; mit ihrer ehrlichen Beantwortung lässt sich viel gewinnen. Es dürfte klar sein, dass ein Seelsorgegespräch, das persönlich auf Augenhöhe geführt wird, durch Kontakte über soziale Netzwerke, Foren, Blogs, über WhatsApp oder E-Mail, nicht vollgültig ersetzt werden kann, losgelöst davon, dass vor allem junge Menschen diese Medien gern nutzen. Kontakte über soziale Medien sind eine gute Ergänzung zu Seelsorgebesuchen. Die konkrete und direkte Wahrnehmung von Aussagen und Gefühlen, von Stimmungen und Affekten, von Gestik, Mimik und augenblicklichem Verhalten des Gesprächspartners ermöglicht eine viel zutreffendere Einschätzung desselben und damit auch die Möglichkeit einer angemesseneren Reaktion. Wahrheit und Lüge sind einfacher zu unterscheiden, Authentizität und Rollenverhalten sind besser erkennbar, Schein und Sein treten deutlicher zutage.
Gerade daran „krankt“ das soziale Mediensystem heutzutage – es werden nicht alle Spielregeln vertrauensvoller Kommunikation eingehalten.
Auch die körperliche Zugewandtheit beim Zuhören, das punktuell verbale Bestätigen von Gehörtem, das erkennbar liebevolle Anschauen des Gesprächspartners signalisieren demselben, dass der Seelsorger sich ihm ganz widmet und sich um ihn „sorgt“.
Plädoyer für den Seelsorgebesuch
Daraus folgt, dass der traditionelle Seelsorgebesuch auch in Zukunft ein besonderes Angebot der Kirche bleiben muss. Erfolgreich im Sinne von nutzbringend wird er dann, wenn beide Seiten vertrauensvoll aufeinander zukommen, wenn der Amtsträger als Diener Gottes und die Glaubensgeschwister als interessierte Glaubende auftreten. Der „Beistand des Heiligen Geistes“ ist dem gewiss, der darauf vertraut.
Der Seelsorgebesuch ist deshalb nicht vergleichbar mit einer Notfallmedizin nach dem Motto: „Wenn’s ein Problem gibt, dann komme ich!“ Wenn Seelsorge aus Liebe geschieht, dann ist sie immer ein Angebot der Hilfe und Unterstützung im Glauben.
Wenn Glaubensgeschwister dennoch nachhaltig signalisieren, dass sie an glaubensbezogenen Gesprächen kein Interesse haben, wird das respektiert. Letztlich entscheidet und handelt jeder eigenverantwortlich.
In unserem nächsten Teil dieser Serie über den Seelsorgebesuch berichten wir von einer Begegnung der besonderen Art. Wie Jesus Christus seinen Jüngern, die auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus sind, begegnet, ist die Mutter aller Seelsorgebesuche.
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