Das Amt (33): Die verschwundene Tradition

Hat die Neuapostolische Kirche bis letztes Jahr tatsächlich nur Männer ins geistliche Amt ordiniert? Und was ist mit den Diakonissen, die 80 Jahre lang in Europa, Amerika und Afrika aktiv waren? – Zahlen, Daten und Fakten als ersten Überblick.

Karoline Rosine Pfänder war eine selbstbewusste, energische und erfolgreiche Frau. 1874 in Süddeutschland geboren brachte sie es beruflich zur „Directrice“ der Wilhelm Bleyle oHG in Stuttgart. So war sie als leitende Angestellte für die Konzeption von Modekollektion verantwortlich – in einem rapide wachsenden Betrieb mit Millionenumsatz und hunderten bis tausenden Mitarbeitern.

Ihr Eintrag im Kirchenbuch der neuapostolischen Gemeinde Stuttgart-West ist nicht nur im Feld „Versiegelung“ ausgefüllt, sondern auch unter der Rubrik „Amtseinsetzung“. Am 12. Dezember 1909 wurde sie vom Apostel Johann Gottfried Bischoff als „Diakonissin“ gesetzt. Und das war alles andere als ein Einzelfall.

Mehr als eine Ausnahmeerscheinung

Zwar gibt es keine durchgehende Statistik zur Zahl der Diakonissen. Doch die Quellen liefern zumindest einen Eindruck. So zeigen die ersten Kirchenbücher aus dem Jahre 1897, dass in den drei Berliner Gemeinden neben 30 männlichen Amtsträgern auch sechs Frauen in dieser Funktion aktiv waren.

Die meisten Diakonissen zählten die Niederlande. Davon zeugt ein Fotoalbum, das Stammapostel Hermann Niehaus im Jahr 1906 zum Geburtstag erhielt – von Apostel Jakob Kofman und seinen „Mit-Amtsbrüdern“: Auf 19 der 150 Portraits waren Frauen abgebildet.

Einsetzungen auch in Afrika und Amerika

Das war nicht bloß ein europäisches Phänomen: So berichtet die Kirchenzeitschrift „Der Herold“ über eine Reise von Apostel Gustav Ruff im Jahr 1900 in die USA, wo er eine Diakonisse einsetzt. Die „Neuapostolische Rundschau“ kommt bei Apostel Carl Georg Klibbe in Südafrika allein im Jahr 1909 auf drei derartige Berufungen.

Und dann war da noch Apostel Heinrich Franz Schlaphoff, der ab 1933 als Stammapostelhelfer für die südliche Halbkugel aktiv war. Er notierte seine Amtshandlungen fein säuberlich in seinem Tagebuch. So kommen für die Jahre 1934 bis 1940 insgesamt 17 Einsetzungen von Diakonissen zusammen – nicht allein in Südafrika, sondern auch in Südamerika.

Ein Ende ohne Begründung

Allerdings: Ab 1928 nimmt die Zahl der Diakonissen in Deutschland spürbar ab. Und in den Niederlanden ist nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Die letzte Diakonisse in Deutschland erscheint in der Statistik für 1955. Und in den Niederlanden wurden 1959 letztmalig noch zwei Diakonissen erwähnt.

Über die Gründe für diese Entwicklung lässt sich derzeit nur spekulieren. Denn Begründungen dafür sind im neuapostolischen Schrifttum bislang nicht gefunden worden. Was allerdings auffällt: In manchen Regionen sind niemals Diakonissen berufen worden. Gab es dort Vorbehalte gegenüber Frauen?

Ordination oder Auftrag?

Relevant für die Frage nach der Frauenordination sind allerdings andere Aspekte: Welche Aufgaben hatten die Diakonissen in der Neuapostolischen Kirche? Und wurden sie lediglich beauftragt oder aber ordiniert wie die anderen Amtsträger? Für Antworten muss man noch etwas tiefer in die Geschichte eintauchten: Denn die Diakonissen sind ein Erbe aus der Katholisch-Apostolischen Kirche. Darum geht es in der nächsten Folge dieser Serie.

Dieser Artikel basiert auf einer Veröffentlichung der Geschichtswerkstatt Stuttgart und auf bislang unveröffentlichten Ausarbeitungen von Dr. Manfred Henke. Der promovierte Historiker arbeitet an einem wissenschaftlichen Werk über die Geschichte der Neuapostolischen Kirche.

Artikel-Infos

Autor:
Datum:
Schlagworte: