Er haucht verstummten Orgeln neues Leben ein

Der argentinische Apostel Jorge Luis Franco (1957) ist Orgel- und Harmoniumbauer. Viviana Aloy, nac.today-Korrespondentin in Argentinien, traf sich mit ihm in der kircheneigenen Werkstatt.

Harmoniumbauer – ist das ein häufiger Beruf in Argentinien?

Nein, gar nicht. In ganz Argentinien gibt es sehr, sehr wenige Handwerker, im Grunde genommen gar keine, die sich der Reparatur und Wiederherstellung von Harmonien widmen.

Wie sind Sie zu dem Beruf gekommen?

Mein Vater war Harmoniumbauer. Bereits als 15-Jähriger half ich ihm bei der Reparatur und Erhaltung dieser Instrumente in der kircheneigenen Werkstatt. Dazu erwarb ich auch Kenntnisse für die Reparatur von Klavieren und beschäftigte mich dann als Stimmer und Restaurator. Später hatte ich die Gelegenheit, bei einem sehr erfahrenen argentinischen Orgelbauer und Organisten den Umgang mit einem großartigen Instrument zu lernen: der Pfeifenorgel. Heute habe ich Kenntnisse und Erfahrung im Bau von kleinen Pfeifenorgeln und in der Restauration und Stimmung von Harmonien und Klavieren.

Hatte das Interesse ausgerechnet an diesen Musikinstrumenten etwas mit der Kirche zu tun?

Ja, natürlich hatte all das mit der Kirche zu tun. Indem ich mich der Instandhaltung von unseren Harmonien widmete – Instrumente, die in unseren Gottesdiensten verwendet werden –, entwickelte sich mein Interesse für ein weiteres sehr spezifisches Thema: den Bau von kleinen Pfeifenorgeln. Da der argentinische Markt begrenzt ist, produzieren wir sie nur auf Anfrage. In Argentinien werden diese Instrumente vorzugsweise in den katholischen und evangelischen Kirchen verwendet. Diese Aufträge werden in meiner eigenen Werkstatt ausgeführt. Das heißt, alle Instrumente, die nicht für den Gebrauch in unserer Kirche bestimmt sind, repariere ich in meiner privaten Werkstatt, die bei mir zu Hause eingerichtet ist.

Werden Harmonien auch heute noch gebraucht?

Das Harmonium entstand, um eine Orgel mit ähnlichen Klangfarben und Registern zu ersetzen, aber mit der Möglichkeit, es in kleineren Räumen zu spielen. Das Harmonium ist ein wichtiges Element innerhalb unserer kirchlichen Musik und es trägt den Gemeindegesang im Gottesdienst. Es ist das Fundament des Chorgesangs, beim Einüben der Lieder und auch in der Begleitung des Gesangs. Es ist erfreulich zu sehen, dass in den letzten Jahren das musikalische Engagement innerhalb der Kirche in unserem Bereich reicher und vielfältiger geworden ist.

Auch unter den jungen Glaubensgeschwistern?

Ja, im Gegensatz zu dem, was man denken könnte, zieht es junge Menschen an, auch andere Musik als die gegenwärtige moderne Musik kennenzulernen. Wenn junge Glaubensgeschwister unsere neuapostolischen Kirchenlieder singen – sogar die alten Lieder „meiner Zeit“ – gefallen sie ihnen. Beim jüngsten Gottesdienst des Stammapostels in Buenos Aires bildeten etwa 650 junge Geschwister den Chor. Man stellt immer wieder fest: Musik hat eine sehr große Kraft. Musik ist ein Geschenk Gottes an uns. Und in unserem Fall ist die Musik ein Mittel, um das gesungene Wort, das die Botschaft des Evangeliums übermittelt, in die Herzen zu befördern.

Sind denn alle Harmonien in argentinischen Gemeinden gleich?

Die meisten Harmonien wurden in Deutschland hergestellt, einige stammen aus inländischer Herstellung und wenige kommen aus Frankreich und den USA. Sie unterscheiden sich voneinander in der Art und Weise, wie der Ton erzeugt wird: Im deutschen und nordamerikanischen System wird Luft von außen durch die Zunge in das Innere des Instruments gesaugt. Die Zungen werden so durch die einströmende Luft in Schwingung versetzt; im französischen System ist es umgekehrt, durch den im Inneren des Instruments aufgebauten Druck strömt die Luft nach außen, an den Zungen vorbei, und erzeugt so den Ton.

Welche Arbeiten führen Sie am häufigsten an den Harmonien in unseren Gemeinden durch?

Früher wurden Harmonien etwas tiefer als auf den heute üblichen Kammerton a=440 Hertz gestimmt. Da heutzutage weitere Instrumente in unserer Kirche mitspielen – so zum Beispiel Geigen, Trompeten, Flöten – passe ich die Tonhöhe des Harmoniums an die der anderen Instrumente an. Ich mache das nach und nach in jeder Gemeinde.

Wie lange dauert dies?

Drei bis vier Stunden braucht man, um ein Harmonium zu stimmen. Alle zwei bis drei Jahre sollte ein Harmonium fein gestimmt werden. Das hängt aber auch davon ab, wie es gepflegt wurde.

Sollte ein Harmonium auch mal generalüberholt werden?

Ja, alle 20 bis 30 Jahre sollte man eine vollständige Überholung vornehmen. Bei einem gut gepflegten Instrument braucht man dafür 15 bis 20 Tage.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an einem Instrument arbeiten?

Jedes Mal denke ich an die Brüder und Schwestern, ob es ihnen so gefallen wird, und ich stelle mir vor, wie sie dann mit dem Instrument Lieder in den Gottesdiensten spielen. Wenn ein Instrument völlig kaputt ist und keinen Klang mehr erzeugt, denke ich darüber nach, wie schön es klingen wird, wenn es repariert ist. Man nimmt alles auseinander und baut das Instrument anschließend wieder zusammen – Schritt für Schritt, ein Teil nach dem anderen. Und wenn das Instrument zusammengesetzt ist, ist es bereit, zu neuem Leben erweckt zu werden. Das ist ein sehr schönes Gefühl! Man macht es nicht aus Gewohnheit, man wartet sehnsüchtig auf den Moment, wo man sagen kann: „Es war stumm und jetzt lebt es wieder, voller Klang.“

Welche interessanten Situationen und Begegnungen haben Sie in Ihrem Beruf erlebt?

Interessante Situationen gab es viele, besonders in den letzten Jahren, als wir in den Kirchen verschiedener Glaubensgemeinschaften Orgeln restauriert oder installiert haben. Zum Beispiel haben wir 2016 die erste in Argentinien hergestellte Pfeifenorgel in der Kathedrale von Buenos Aires anlässlich der 200-Jahr-Feier der argentinischen Unabhängigkeit installiert. Die Nachricht über solch eine Errungenschaft wurde in einer der führenden Zeitungen des Landes veröffentlicht. Diese Orgel wird jeden Tag zur Begleitung der Liturgie genutzt. Im letzten Jahr haben wir die Orgel der zentralen Synagoge der Stadt Buenos Aires restauriert. Danach gab es eine prächtige Zeremonie, an der auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel teilnahm. Dies führte dazu, dass wir ein Dankschreiben für die geleistete Arbeit vom deutschen Botschafter in Argentinien erhielten. Ich könnte noch viele andere Situationen nennen, denn ein stummes Instrument wieder zum Leben zu erwecken, ist hoch angesehen und bringt mich in Kontakt mit Menschen verschiedener Religionen, die Musik und Instrumente lieben. In meinem Berufsleben pflege ich seit vielen Jahren mit einigen katholischen Pfarrern ein gutes Verhältnis. Wir sprechen immer wieder über die Realität der Christen im 21. Jahrhundert, über die Kirche als eine repräsentative Institution und über die heutigen Herausforderungen im Glauben. All dies immer in einem respektvollen Rahmen, wo wir – bei gewissen Unterschieden – doch auch viele Übereinstimmungen gefunden haben.

Was ist Ihr großer Wunsch?

Gott treu zu bleiben und das Angesicht Christi zu sehen, das ist mein größter Wunsch. Das wünsche ich auch für meine Lieben und alle Glaubensgeschwister.

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Viviana E. Aloy, Elisabet Köcher, Dinara Ganzer
25.08.2018
Südamerika, Argentinien, Nebeneinrichtungen, Musik, Persönlichkeiten