Quer über den Atlantik, den Glauben im Gepäck

Sie war noch nie dort, doch es zog sie hin: Irene Berger-Chreim ist in Uruguay aufgewachsen, wollte nach Deutschland, das Land ihrer Vorfahren. Also wanderte sie aus – Gott immer mit dabei.

Montevideo ist die Hauptstadt Uruguays und eine lebendige, pulsierende Stadt. Im Vergleich zu anderen Hauptstädten ist Montevideo zwar weniger laut, aber es ist immer etwas los. Hier wird Tango getanzt, Mate-Tee getrunken und Künstler verkaufen ihre Kunstwerke am Straßenrand. Die Stadt mit 1,3 Millionen Einwohnern liegt direkt am Meer und ist Uruguays Zentrum für Industrie und Kultur. Es gibt viele Sehenswürdigkeiten zu bestaunen und Museen zu besichtigen und dank des feuchtwarmen Klimas das ganze Jahr ist ein Ausflug zum Strand immer drin.

Unzählige Male war Irene Berger-Chreim an diesem Strand, ging durch die Straßen von Montevideo, trank Mate-Tee. Jetzt lebt sie in Ammerbuch-Pfäffingen, einer 2000-Einwohner-Stadt in Deutschland. Die Ortschaft ist umgeben von grünen Feldern und Streuobstwiesen. Zum Meer sind es über 400 Kilometer Luftlinie. Aber Irene fühlt sich wohl: „In einer Landschaft zu leben, wo viel grün ist, das gefällt mir auch. Diese Felder zu sehen, diese Farben mitzuerleben in den verschiedenen Jahreszeiten, das war für mich am Anfang total anders. Das begeistert mich.“

Multikulturelle Familie

Irene ist in der zweiten Generation Uruguayerin. Ihre Großeltern mütterlicherseits wanderten aus Deutschland in das südamerikanische Land ein, ihre Großeltern väterlicherseits aus Österreich. „In unserer Familie haben wir immer die drei Kulturen gepflegt“, erzählt Irene, die heute noch einen multikulturellen Freundeskreis pflegt. „Mein Vater hatte ein nach ihm benanntes Orchester und eine Schuhplattler-Gruppe. Damit war er viel in deutschen Clubs tätig. Vor vier Jahren habe ich meinen 60. Geburtstag in einem dieser Clubs gefeiert und da konnte ich die Namen meiner Großeltern und schöne alte Bilder an einer Tafel sehen.“

„Zurück“ nach Deutschland

„Viele andere Geschwister aus meiner Gemeinde Capilla Union, die zwar selbst in Uruguay geboren sind, aber auch deutsche Vorfahren hatten, sind dann wieder ‚zurück‘.“ Ihre Tante überquerte den Atlantik, um in Deutschland ein neues Leben anzufangen. „Und auch wir haben irgendwann den Wunsch gespürt, ‚wieder‘ hierherzukommen. Irgendwie hat es uns gezogen.“

Also ging es 1979 „zurück“ nach Deutschland. Irene hatte gerade eine Sekretariatsausbildung fertiggemacht und Deutschunterricht genommen und wanderte mit achtzehneinhalb Jahren nach Europa aus. Ihre Schwester, die kurz vorher geheiratet hatte, blieb. Alles, was sie sich in Uruguay aufgebaut hatten, ließ Familie Berger zurück. „Es war – ich weiß auch nicht – es war ein Wunsch“, sagt Irene.

Das erste Mal Schnee

Irenes Vater ist Katholik, den neuapostolischen Glauben hat sie von ihrer Mutter. „Als wir noch Kinder waren, wollte mein Vater nicht, dass wir in die Kirche gehen“, erzählt sie. „Meine Mutter hat viel darum gekämpft. Jeden Sonntag hat sie uns mitgenommen. Von Kindheit an sind wir immer nur sonntags in die Kirche gegangen, weil es zu viele Konfrontationen gab.“ In Deutschland war es auf einmal ganz anders: „Komischerweise hat es mein Vater irgendwie akzeptiert hier in Deutschland.“ Irene und ihre Mutter staunten nicht schlecht, als der Vater bei den Seelsorgebesuchen der priesterlichen Geistlichen immer freundlich war und mit den Amtsträgern redete.

Ihr Glaubensleben bekommt in Deutschland eine ganz neue Intensität. Zunächst lebt die Familie bei Irenes Onkel und Tante im Haus in Sindelfingen. „Ich war dort in der spanischen Gemeinde im Chor aktiv, mit der Jugend war ich unterwegs und ich habe direkt Anschluss gefunden“, berichtet sie. Sie habe sich sowohl in Uruguay als auch in Deutschland in allen Gemeinden wohl gefühlt, sagt sie. Auch wenn sie in Uruguay nicht so viel von ihrer Jugendzeit mitnehmen konnte, in Deutschland dafür umso mehr. „Von den Gemeinden Sindelfingen oder Magstadt aus, wo ich später war, sind wir mit der Jugendgruppe in andere Regionen gefahren. Einmal waren wir im Winter unterwegs, wo Schnee war. Ich konnte das erste Mal erleben, was Schnee ist, weil es das in Uruguay nicht gab.“

Auch nach der Jugendzeit fand Irene Anschluss. „Die Jugendlichen wie auch die Älteren haben immer versucht, zusammenzukommen.“ Die Tradition in deutschen Kirchengemeinden, nach manchen Gottesdiensten Gemeindecafés zu veranstalten, findet Irene auch super, um in Kontakt mit anderen Glaubensgeschwistern zu kommen.

Erfahrungen, die verbinden

Natürlich gab es in dem neuen Heimatland auch Probleme. „Die Sprache war eine Barriere für mich am Anfang.“ Und: „In Uruguay waren wir die Deutschen oder die Österreicher, und hier waren wir auch die Ausländer.“

Mit 24 Jahren ist Irene Mutter einer mehrfach schwerbehinderten Tochter. „Der Papa von Cintia ist nach Portugal gegangen und hat sich nie wieder gemeldet. Er zeigte kein Interesse an ihr.“ In dieser Zeit erlebte Irene die kirchliche Gemeinschaft: „Ich habe Glaubensgeschwister kennengelernt, die auch behinderte Kinder hatten. Zum Beispiel ein Mädchen mit Down-Syndrom. Bis heute bin ich mit der Familie befreundet, obwohl wir eine Autostunde voneinander entfernt wohnen. Das ist schön, dass wir uns da austauschen können. Und dass wir beide neuapostolisch sind.“

Auf andere zugehen

Ein anderes Mal erlebte Irene die Hilfe von Glaubensgeschwistern, als sie gezwungen war, ihre Wohnung zu verlassen. „Ein Priester aus der Gemeinde und seine Frau ließen mich einen Monat bei sich wohnen, bis ich eine neue Wohnung gefunden habe.“ Das war in ihrer jetzigen Gemeinde Ammerbuch-Pfäffingen, wo sich Irene sehr wohl fühlt.

Auch wenn sie während der Coronazeit eine Zeitlang die Gottesdienste nicht besuchte. „Da war ich ein bisschen zu bequem“, gibt sie zu. „Im Internet war der Gottesdienst auch zu sehen.“ Aber sie habe sich einsam gefühlt. Cintia lebt in einer Pflegeeinrichtung in Reutlingen, ihre jüngere Tochter Melanie in der Schweiz. „Das tut mir auch gut, in der Gemeinde zu sein.“ Also besuchte sie wieder die Gottesdienste und ist froh über den Austausch unter Glaubensgeschwistern.

„Man muss sich integrieren“, sagt sie aus eigener Erfahrung zu denjenigen, die auch in ein anderes Land ziehen und vor der Frage stehen, wie sie ihren Glauben aktiv leben können. „Man muss den Kontakt suchen mit der Gemeinde, mit den Geschwistern. Der Weg ist viel schöner.“

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