Fortschritte mit Unterstützung und Gottvertrauen

Hilfe kann auch den Helfern helfen. Davon berichtet Bischof Rafael Movsesyan. Er betreut seit der Gründung von NAK-karitativ die laufenden Projekte in Armenien.

Wie begann die intensive Zusammenarbeit mit NAK-karitativ?

In der schweren Zeit nach dem Erdbeben 1988 und den Konflikten in Bergkarabach brauchten die Menschen dringend Hilfe. Lebensmittel gab es nur auf Marken. Die Zuteilung sah pro Tag und Person nur 150 Gramm Brot vor. Damals arbeitete ich eng zusammen mit Apostel Kusserow, in den 90er Jahren setzte Apostel Bernd Klippert, der spätere Geschäftsführer von NAK-karitativ, diese Unterstützung fort.

Um das soziale Engagement zu erleichtern, gründeten wir damals gemeinsam mit Alfred Kusserow die „Gesellschaft für deutsch-armenische Freundschaft“. Eine besondere Bedeutung für mich persönlich bekam die karitative Arbeit, als meine Tochter Liana nach einem Verkehrsunfall starb. Zu dieser Zeit – das war im Jahr 2004 – begann der Aufbau von Kindergärten gemeinsam mit „Semper pro humanitate“. Später unterstützte NAK-karitativ die Einrichtung weiterer Kindergärten. Inzwischen haben wir acht Kindergärten, sechs in Armenien und zwei in Georgien. Einen davon leitet meine Frau. Für sie ist diese Arbeit bis heute das Beste, was ihr nach dem Verlust unserer Tochter passieren konnte. Die Kinder kommen überwiegend aus Familien, die in ärmlichsten Verhältnissen leben.

In den Folgejahren kamen medizinische Nothilfen durch NAK-karitativ hinzu. Das war eine große Hilfe, denn diesem Programm verdanken zahlreiche Menschen ihr Leben oder ihre Gesundheit.

Wie ist die Situation in Armenien heute?

In unserem Land gibt es viel Armut. Während des Krieges haben viele Menschen ihre Heimat verlassen und in Russland Arbeit gefunden. Armenien wirkte wie „ein von Gott verlassenes Land“. Korruption und Bandenkriminalität haben sich stark ausgebreitet. Es gibt keine Mittelschicht. Fünf bis acht Prozent der Bevölkerung sind sehr reich. Der Rest lebt in Armut. Schau aus dem Fenster: Auf der einen Seite siehst du einen Bentley und auf der anderen Seite bittere Armut. Fast jeder hat im Haus einen Gasanschluss, aber kaum jemand kann das Gas nutzen, weil es zu teuer ist. Es wird mit Holz gekocht und im Winter geheizt.

Wie können wir den Menschen in diesem Dilemma helfen?

Sehr gute Ansätze sehe ich in den einkommensfördernden Maßnahmen, die wir aktuell durchführen. Das sind keine großen Projekte, wie der Aufbau von Fabriken oder Werken. Aber jede Familie, die wir auf diese Weise fördern, kann eine Viehzucht betreiben oder ein anderes kleines Geschäft. Das versetzt sie in die Lage, wieder für sich selbst sorgen zu können. Sie müssen nicht mehr hungern. Der Druck, nach Russland zu gehen, um zu arbeiten, lässt nach, die Familien bleiben zusammen. In dem Maß, wie ihre Selbstständigkeit zunimmt, sie kleine Erfolge sehen und ihr Leben selbst finanzieren können, werden sie auch selbstbewusster, haben wieder Hoffnung und blicken zuversichtlicher in die Zukunft.

Ein schönes Beispiel ist diese Familie aus der Region Tawusch. Die Eltern – beide haben eine leichte geistige Behinderung – leben mit ihrer Tochter in äußerst ärmlichen Verhältnissen. Sie hatten dann von unserem Programm gehört und wollten unbedingt etwas tun. Mit dem Verkauf von Eiern und jungen Hühnern kann die Familie jetzt ihren Lebensunterhalt fühlbar aufbessern. Es ist anrührend zu sehen, wie engagiert und mit wieviel Zuwendung der Familienvater seine Hühner pflegt und stolz ist, etwas für seine Familie tun zu können.

Ein weiteres Beispiel ist das „Kuchenprojekt“. Hier hätte ich den geringsten Erfolg erwartet. Diese Frau hat oft angerufen und unendlich viele Fragen gestellt. Dann hat die Frau ganz selbstständig einen Vertrag mit zwei Geschäften abgeschlossen. Jetzt hat sie feste Abnehmer und erzielt ein kleines Einkommen.

Was wünschen Sie sich für Armenien?

Ich wünsche meinem Volk einen dauerhaften Frieden und wirtschaftlichen Aufschwung. Es wäre schon viel erreicht, wenn die Grundversorgung mit Lebensmitteln besser wäre und sich alle satt essen könnten. Das ist ja besonders für die Entwicklung der Kinder wichtig. Staatliche Unterstützung ist nicht zu erwarten. Sind die Kinder satt und du fragst sie wie es ihnen geht, antworten sie meist: „Es geht uns gut“. Es braucht nicht viel: Regelmäßige Mahlzeiten, wenigstens ein warmes Essen am Tag, liebevoll zugewandte Eltern und ein wenig Spielzeug …

Wie sehen sie die Zukunft?

Die Armenier sind ein stolzes Volk. Sie sind aber auch gläubige Menschen. Ich bin zuversichtlich, dass die Menschen mit ihrem Gottvertrauen und ihrer Hoffnung bei etwas Unterstützung Fortschritte machen werden. Die nachwachsenden Generationen haben viel Potential. Hinzu kommt, dass wir gut funktionierende Familien haben. Durch diese engen Bindungen hilft einer dem anderen.

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Tatjana Augustin
20.11.2017
Armenien, Hilfswerke, Soziales Engagement