Zug um Zug: Der Weg zurück ins Leben

Fünf Wochen war Werner Buthe im künstlichen Koma. Fünf Wochen voller Hoffen und Bangen für seine Angehörigen. Wieder unter den Lebenden, ist für den Covid-Patienten aus Frankfurt (Deutschland) nichts mehr, wie es war.

Es ist 4:55 Uhr am Mittwoch, 14. Juli 2021: Werner Buthe tippt mit letzter Kraft auf seinem Handy. Der Anrufbeantworter geht ran. Dort hört seine Frau das gebrochene Flüstern: „Ich habe dich immer geliebt. Entschuldige“. Dann ist Stille – fünf Wochen lang.

Werner Buthe fällt ins Koma. Sein Leben hängt an einer Maschine namens „Extrakorporale Membranoxygenierung“ (ECMO). Das Gerät pumpt Blut aus einem Körper, reichert es mit Sauerstoff an und pumpt es wieder zurück. Nicht viele Menschen, die an eine solche Maschine angeschlossen werden, überleben.

Es fing harmlos an

Werner Buthe ist kein Unbekannter in der Neuapostolischen Kirche. Besonders gerne engagiert er sich im Eventmanagement. Und viele deutsche Glaubensgeschwister kennen ihn als Moderator von Social-Media-Gruppen.

Ende Juni dachte Werner Buthe, er hätte einen grippalen Infekt. Zwei Corona-Schnelltests waren negativ, doch als sich sein Zustand verschlimmerte, ging er zu einem Arzt. Dieser diagnostizierte Covid-19, was später in der Uniklinik mit einem PCR-Test bestätigt wurde.

Dem Impfangebot hatte er zuvor beobachtend gegenübergestanden. Er wartete noch auf die Verarbeitung des Deltavirus´ in den Impfstoffen. Heute bereut er das: „Es hat mich fast das Leben gekostet.“

Und wurde immer schlimmer

Von Tag zu Tag bekam er weniger Luft. Immer mehr Sauerstoff wurde ihm automatisch zugeführt. Das Gerät signalisierte zu wenig Sauerstoff mit Signaltönen. Er musste dann eine bestimmte Atemtechnik anwenden. Heute noch erinnert er sich an dieses Piepen. „Das sind Momente, in denen ich Todesangst bekam.“

Am 14. Juli schaffte es die Behandlung nicht mehr, ihn bei Bewusstsein zu halten. Der Puls brach zusammen. „Und dann erstickte ich.“ Er verlor das Bewusstsein und wurde künstlich beatmet. „Mein letzter Gedanke war: Lieber Gott, sehen wir uns gleich, oder soll ich nochmal wegen irgendetwas zurück?“

Bangen um den Ehemann und Freund

Täglich riefen seine Verwandten im Krankenhaus an. „Unverändert“, lautete die Reaktion des Krankenhauspersonals. Sie konnten nur noch beten. Seine Frau, selbst an Corona erkrankt, musste die Quarantäne und die Angst um ihren Mann zunächst einmal alleine durchstehen. In den sozialen Netzwerken erreichten Werner Buthe während der ganzen Zeit im Krankenhaus viele Genesungswünsche und auch von seiner Gemeinde empfing er Post. „Ich hatte nie das Gefühl, dass ich alleine war.“

Dann, endlich, nach drei Wochen im künstlichen Koma, konnte Werner Buthe wieder selbstständig atmen und von der ECMO genommen werden. Zwei Wochen dauerte es noch, bis er endlich aufwachte. „Lieber Gott, dankeschön. Mega“, war das Stoßgebet, das er zum Himmel schickte. Für ihn war die Zeit im Koma nur einen Augenblick lang, seiner Familie kam es vor wie eine Ewigkeit.

Wieder zurück

Als Werner Buthe nach fünf Wochen endlich wieder erwachte, musste er alles neu lernen. Seine Muskeln waren so verkümmert, dass er nicht einmal auf der Bettkante sitzen konnte. „Kein Arm, kein Bein, keine Hand, kein Finger, nirgends ist noch Kraft“, beschreibt er das Gefühl der vollkommenen Hilflosigkeit. Er konnte nichts greifen, nichts drücken, nichts halten. Selbst duschen oder auf die Toilette gehen sind nicht drin. Kommunizieren konnte er nicht, weil weder die Zunge noch Hände und Füße taten, was sie sollten. Ernährt wurde er durch eine Magensonde, fürs Ausscheiden hatte er Katheter und Windeln. Doch Schamgefühle ließ er nicht zu: Er will leben.

Werner Buthe kämpft sich in sein – wie er sagt – zweites Leben zurück. „Ich lernte erst auf der Bettkante zu sitzen. Dann lernte ich mit Hilfe eines Therapeuten ein paar Sekunden zu stehen – ein irres Glücksgefühl“, berichtet er. „Insgesamt war ich dreieinhalb Monate ununterbrochen in drei verschiedenen Krankenhäusern auf sechs verschiedenen Krankenstationen. Einmal sogar ein paar Tage auf einer Palliativ-Station, weil auf der Intensivstation kein Platz mehr war.“

Ein neues Leben

Doch der Kampf hat sich gelohnt. Seine Lunge erholte sich nahezu vollständig. Natürlich hat er mit Long Covid zu kämpfen. So ist der ehemalige Fahrradsportler oft müde und jeden Abend hat er am ganzen Körper Schmerzen. Doch er hat etwas für sich gelernt: „Aussichtslos ist noch lange nicht aussichtslos. Es gibt eine Hoffnung bis zuletzt!“ Und: „Die Zeit, die ich noch habe, ist endlich.“

Mit dieser Zeit will Werner Buthe etwas anfangen. Denn seine Rückkehr ins Leben bedeutet für ihn: „Gott hat gesagt: ,Ich brauch dich noch.‘“ Da ist er sich sicher. Allerdings: „Ich weiß nur noch nicht, wofür.“ Das versucht Werner Buthe herauszufinden, indem er mit offenen Augen durch sein neues Leben geht und darauf achtet, ob jemand Hilfe braucht.

Einen Anfang hat Werner Buthe auf Initiative der Universitätsklinik Frankfurt gemacht, für die sein Fall alles andere als Alltag ist. Die Mediziner haben ihn gebeten, seine Geschichte zu erzählen: Den Anfang machte ein Beitrag im regionalen Fernsehen. Die Nachrichtensendung „Hessenschau“ begleitete Werner Buthe zurück an den Ort, vor er dem Tod so knapp entronnen war.


Screenshot: Hessischer Rundfunk

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Katrin Löwen
19.01.2022
Persönlichkeiten, Gemeindeleben