Seelsorge (14): Emmaus, die Mutter aller Besuche

Emmaus, eine kleine Ortschaft in der Nähe von Jerusalem, ist Schauplatz eines interessanten und spannenden Zusammentreffens zwischen dem auferstandenen Jesus Christus und seinen Jüngern. So könnte ein richtig guter Seelsorgebesuch aussehen.

Die Begegnung des Herrn mit den Emmausjünger, nachzulesen in Lukas 24,13–35, ist ein Paradebeispiel für gelungene Seelsorge, das sich auch heute so oder so ähnlich entwickeln könnte. Aus dieser biblischen Begegnung lassen sich fünf Regeln für Seelsorger ableiten:

  • Jesus nimmt seine Jünger wahr und erkennt ihre Nöte.
  • Er geht mit ihnen einen gemeinsamen Weg und begleitet sie.
  • Er hört ihnen aufmerksam zu.
  • Er beantwortet ihre Fragen und schenkt ihnen damit zugleich Orientierung.
  • Er verabschiedet sich wieder von ihnen und lässt sie eigenverantwortlich weiterziehen.

Die Ausgangslage war dramatisch und die Jesusjünger aus Emmaus verzweifelt: Traurigkeit, Enttäuschung, Zweifel, Frustration, Ärger, Ungewissheit, Sorge, Angst vor der Zukunft – von allem etwas. Sinnlosigkeit, Orientierungslosigkeit kamen auf. Schweigend zogen sie nach Hause, Richtung Kummerhöhle. Interessant zu beobachten ist, wie der Sohn Gottes in dieser speziellen Situation mit seinen Jüngern umgeht. Er tut das, wofür Seelsorger manchmal ein ganzes Leben lang studieren müssen und setzt ein Denkmal praktischer Seelsorge.

Wahrnehmen/Sorgen erkennen

Jesus wusste um die trostlose Stimmung seiner Jünger und suchte Nähe zu ihnen. Er war zwar erstaunt, dass sie trotz aller vorherigen Hinweise nicht wussten, wie ihnen geschah, er schalt sie aber nicht, sondern reagierte sachlich und liebevoll.

Ein Blick in die Gemeinde verrät, in welchem Gemütszustand sich einzelne Glaubensgeschwister befinden, ob sie positive oder negative Gedanken haben, wenn sie in ihre Zukunft schauen. Wie ist es um soziale Bindungen in der Gemeinde bestellt, gibt es unheilige Cliquenbildungen oder Isolation, gibt es Konflikte? Worüber reden die Gemeindemitglieder? Geht es denen gut, die behaupten, dass es ihnen gut geht? Mit viel Verständnis und Zeit lässt sich das alles in einem Seelsorgegespräch erörtern.

Mitgehen/Begleiten

Jesus begleitete seine Jünger eine Zeitlang, zwar weg von Jerusalem, aber von Anfang an mit der Absicht, sie zur Umkehr nach Jerusalem zu bewegen. Vorwürfe hatte er nicht auf Lager, sondern stattdessen Gemeinschaft, Wegbegleitung.

In die Gemeindearbeit von heute übertragen heißt das, Anteil nehmen am Los der Glaubensgeschwister – nicht nur zur Kenntnis nehmen. Wer zum Ausdruck bringt: „Ich habe für dich Zeit! Ich bin für dich da!“, hat immer einen Gesprächspartner. Dazu zählt auch die Sensibilität, den eigenen Standpunkt zu verlassen und sich in die Lage des anderen hinein zu versetzen. Als Christen können wir mit Glaubensgeschwistern beten. Mit anderen zu beten bewahrt häufig vor Fehlurteilen!

Zuhören

Jesus Christus hörte zu, was die Jünger bedrückte. Einsame Menschen sind entweder schweigsam oder sie reden sich vieles von der Seele. Die Emmausjünger redeten. Und Jesus hörte ihnen aufmerksam zu.

Zuhören ist eine Gabe, die nicht jeder Mensch besitzt. In Seelsorgebesuchen ist der Anteil des Zuhörens beträchtlich. Jemand, der von vorherein alles weiß oder der andauernd ins Wort fällt, ist eine echte Plage. Den, der zuhört, erkennt man an der Art und Weise, wie er das Gefühl von Nähe und Verbundenheit vermittelt. Körperhaltung, Gestik und Mimik signalisieren Offenheit und Verständnis. „Aktives Zuhören“ entsteht durch Nachfragen, Bestätigen, Mitfühlen. Nicht die eigene Person steht im Vordergrund, sondern der andere. Eigene Erfahrungen, eigene Vorstellungen, eigene Lösungen sind Gold wert, doch alles zu seiner Zeit.

Antworten/Orientierung geben

Jesus stellte seine Jünger auf festen Grund, legte ihnen die alten Worte der Propheten neu aus, sprach mit ihnen wie ein Lehrer, der in der Lage ist, aus Theorie Praxis entstehen zu lassen. Die berühmte Frage der Menschen: „Und was hat das mit mir zu tun?“ beantwortete er ihnen mit bekannten Worten.

So auch heute: Seelsorgebesuche beschäftigen sich häufig mit Glaubensfragen. Diese eindeutig im Sinne des Glaubens und der Lehre zu beantworten, darf man ohne Weiteres von einem Geistlichen erwarten. Vielleicht weiß er nicht auf alles sofort eine Antwort, dann weiß er aber doch einen, der die Antwort kennt. Insgesamt vermittelt er ein Anteil nehmendes Gefühl und stellt bei allen anstehenden Lebensfragen und Entscheidungen die Frage: Was hat Gott mit uns vor? Was bringt uns dem Herrn näher?

Weitergehen/Loslassen

Zu guter Letzt, nachdem alles gesagt und besprochen war, ging der Sohn Gottes wieder seiner Wege und verließ die Jünger. Er hatte ihre Not wahrgenommen, sie begleitet, ihnen zugehört und neue Wegweisung gegeben. Mehr geht nicht.

Wer aufrichtig liebt, kann auch im Vertrauen loslassen. Für den Seelsorger heißt das, seine Glaubensgeschwister ihren Weg gehen zu lassen, wenn seine Mission erst einmal erfüllt ist. Eine seelsorgerische Begleitung ist nicht durch ihre Länge, sondern durch ihre Qualität gut. Glaubensgeschwister treffen ihre Entscheidungen selbst und verantworten sie letztlich auch selbst. Weitergehen und Loslassen bedeutet also nicht Interesselosigkeit oder Gleichgültigkeit, sondern ist Ausdruck des Vertrauens in die Kraft des anderen.

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Peter Johanning
27.07.2021
Gemeindeleben