Das Amt (32): Eher gemacht als gedacht
So viel ist klar: Wo die Bibel keine eindeutigen Vorgaben macht, kann‘s die Kirche regeln. In Sachen „Frauenordination“ stellt sich damit als nächste Frage: Wie war es bisher geregelt? Die Antwort: unterschiedlich und nur schwach begründet.
Die Praxis ist widersprüchlich: In den letzten acht Jahrzehnten ordinierte die Neuapostolische Kirche nur Männer ins geistliche Amt. In den 80 Jahren davor wurden auch Frauen als Diakonissen gesetzt. Da drängt sich die Frage auf: Warum erst so und dann so?
Antworten sind spärlich: „Eine offizielle und theologische begründete Verlautbarung des Apostolats“ zum Thema Frau und Amt „gab es nicht“, konstatiert das aktuelle Lehrschreiben in der Leitgedanken-Sondernummer 3/2022. Auch „im älteren Schrifttum der Neuapostolischen Kirchen ist keine theologische Begründung dafür zu finden, dass Frauen keine gottesdienstlichen Funktionen ausüben dürfen“, ergänzt Kirchenhistoriker Dr. Manfred Henke auf Anfrage von nac.today.
Kaum mehr als zwei Sätze
Am ehesten offiziellen Charakter hat noch die „Mitteilung des Stammapostels“ Richard Fehr im Leitgedanken-Heft 6/1999. Die Ausführungen zum allgemeinen Amtsverständnis enden so: „In der Neuapostolischen Kirche bekleiden Frauen keine geistlichen Ämter. Darin orientiert sich die Kirche an dem Vorbild Jesu und weiß sich im Einklang mit den Aussagen der Heiligen Schrift.“
Der Text bezieht sich ausschließlich auf das Schweigegebot und die Berufung der Zwölf . Eine umfassende Betrachtung und Begründung – wie das 30-seitige aktuelle Lehrschreiben – stellen die zwei Sätze nicht dar. Und ein Beschluss der Bezirksapostelversammlung steht auch nicht dahinter.
Eine Perspektive für die Zukunft
Unterm Strich handelt es sich um eine Momentaufnahme. Das machte auch Stammapostel Fehr deutlich, als er 2005 gefragt wurde, was das Evangelium zur Frauenordination sagt: „Darüber kann man sich natürlich streiten“, machte er deutlich. „Je nachdem, wie man die Bibel interpretiert, kann man, wie Paulus sagen, Frauen haben im Predigtdienst nichts zu suchen. Andere sagen, Frauen sind Jesus als die Getreuesten nachgefolgt und er hat ihnen viel gesagt und viel anvertraut.“
„Vielleicht aber kommen wir eines Tages wieder soweit, wie es schon einmal war: Diakonissen“, sagte Stammapostel Fehr in dem Interview, das in dem Buch „Unser Herr kommt“ veröffentlicht wurde. „Also ich meine, als erster Schritt Diakonin, warum nicht! Aber die Zeit ist dazu, glaube ich, noch nicht reif. – Mal sehen, was die Zukunft bringt.“
Leichter denkbar als machbar
„Ich denke, das ist eine Sache der Tradition“, erläuterte Amtsnachfolger Wilhelm Leber zur ausschließlichen Ordination von Männern. „Die Frage ist offen, ob das so bleiben muss“, zitiert ihn ein Interview in der Pfingstbroschüre „Einmütig im Geist“ ebenfalls aus dem Jahr 2005.
Im Gespräch mit Jugendlichen aus dem Bezirk Lübeck wird Stammapostel Leber im Jahr 2012 noch deutlicher: „Es ist durchaus denkbar und es gibt keinen Grund zu sagen, dass Frauen das nicht können. Ausschließen möchte ich das also nicht.“ Aber: „Dies umzusetzen, ist nicht ganz so einfach.“ Denn die Akzeptanz in den Gemeinden hänge von gesellschaftlichen Verhältnissen und kulturellen Prägungen ab. „Als internationale Kirche müssen wir entsprechend sensibel sein.“
Fazit: Der Praxis, nur Männer zu ordinieren, fehlte die lehrmäßig begründete Grundsatzbeschluss des Apostolats. Schon die Stammapostel Fehr und Leber hielten es für möglich, auch Frauen ins geistliche Amt zu berufen. Was hat es aber mit den Diakonissen auf sich, von denen Stammapostel Fehr spricht? Darum drehen sich die nächsten Folgen dieser Serie.
Foto: Michael Möller - stock.adobe.com