Im Gebet: Venezolaner rücken in Not und Gefahr zusammen

Fünf Tage lang dauerte die Anreise. Am Ziel verließen nicht etwa 30 müde und gereizte Passagier den Bus, sondern stürmten freudige und begeisterte Amtsträger einen Seminarraum. Dabei erleben sie zuhause derzeit schlimme Zeiten.

Bezirksapostel Leonard R. Kolb (USA) hatte eingeladen. Seit mehr als zwei Jahren war er und auch sein Helfer Apostel John W. Fendt jun. nicht mehr in Venezuela gewesen. Dafür sorgten und sorgen die scharfen politischen Spannungen zwischen den USA und dem südamerikanischen Staat.

Dabei könnten die neuapostolischen Glaubensgeschwister in Venezuela Zuspruch gut gebrauchen. Denn spätestens seit 2015 herrscht eine Versorgungskrise im Land. Die weltweit höchste Inflationsrate sorgt dafür, dass Nahrungsmittel immer teurer werden und der Zugang zur medizinischen Versorgung nahezu unbezahlbar ist.

„Nahrungsmittelknappheit und steigende Preise haben zu Plünderungen und Gewaltausbrüchen geführt“, berichtete „Vision“, das Mitgliedermagazin der Neuapostolischen Kirche USA in ihrer Sommerausgabe 2018. „Wegen des Mangels an medizinischer Ausrüstung leiden und sterben wieder mehr Säuglinge, Kinder und Erwachsene an vermeidbaren Krankheiten.“ Leider sei es schwierig, mit Sachspenden oder Geld zu helfen. Denn: „Die venezolanische Regierung akzeptiert die humanitäre Hilfe oft nicht.“

Gefährlich: der Weg zum Gottesdienst

Die wirtschaftliche Not, aber auch die Gewalt trifft die Kirchenmitglieder ebenso wie ihre Landsleute, berichtet Bezirksapostel Kolb auf der Website nac-usa.org. „So wurde beispielsweise ein 42-jähriger Diakon in einer unserer Gemeinden nahe seines Arbeitsplatzes ermordet.“ Er hinterlässt seine Frau und sechs Kinder. „Leider treten diese Art von Ereignissen regelmäßig auf.“

Wegen der Unruhen ist der Weg zu Gottesdiensten für viele Familien zu einem Risiko geworden. Deshalb besuchen die Amtsträger die Familie oft Zuhause, um mit ihnen Gottesdienst zu feiern, und nehmen auf diesen Wegen große Gefahren auf sich.

Hilfreich: der Seelsorger aus der Nachbarschaft

Ausgerechnet in dieser Lage war Mitte vergangenen Jahres der beliebte Apostel Félix Manuel Díaz Salazar völlig unerwartet heimgegangen. Und Anfang 2018 ging Apostel José Rafael Lara-Tovar aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand. So lastet die seelsorgerische Verantwortung allein auf den Schultern von Apostel César Benito Barrera Báez, der erst im Juni 2017 ordiniert worden ist.

In dieser Not kam ein Nachbar zur Hilfe: Der brasilianische Bezirksapostel Raúl Eduardo Montes de Oca hatte Anfang 2018 die Möglichkeit, nach Venezuela einzureisen. In sieben Gottesdiensten versammelte er insgesamt über 3000 Gemeindemitglieder. Trotz der vielen Schwierigkeiten seien die Menschen hoffnungsfroh und gläubig, berichtete Bezirksapostel Montes de Oca.

Vereint: täglich im Abendgebet

Um die Amtsträger in Venezuela während dieser schwierigen Zeit in ihrem Land zu stärken, hatte Bezirksapostel Kolb nach Cucuta eingeladen, einer Stadt in Kolumbien, nahe der Grenze zu Venezuela. Auf dem Programm standen ein Seminar, geistlicher Austausch und natürlich ein gemeinsamer Gottesdienst.

Am Vorabend der Versammlung hatte Apostel Fendt die Gemeinde San José in Bogotá, ebenfalls Kolumbien, besucht. An diesem Gottesdienst nahmen 113 Glaubensgeschwister teil, darunter auch eine Gruppe, die aus Venezuela gekommen war.

Während der Gespräche am Wochenende erfuhr der Bezirksapostel, dass die venezolanischen Amtsträger und Mitglieder in ihrer besonderen Situation eine alte neuapostolische Tradition wieder aufgriffen haben: unabhängig vom Standort jeden Abend um 22 Uhr gemeinsam zu beten, füreinander und für das Volk ihres Landes. „Ich war tief bewegt, als ich davon hörte. Und ich lade alle ein, die es können, sich unseren Brüdern und Schwestern in diesem Abendgebet um 22 Uhr anzuschließen.“

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Andreas Rother
06.11.2018
Venezuela, Gottesdienst, Gemeindeleben