Tropfen, Tupfen, Technik: Wie der Wein auf die Hostien kam

Als die Sache hochoffiziell war, fingen die Probleme erst richtig an: Wie kommt der Wein in Tropfen auf die Hostie? Aus den Tupf-Apparaten und Waffeleisen der Anfangsjahre entwickelten sich die Produktionsstraßen unserer Tage.

Brot und Wein in einem – das ist seit 100 Jahren der Standard beim Heiligen Abendmahl in der Neuapostolischen Kirche. Die Vorgeschichte: Im Ersten Weltkrieg war nicht zuletzt der Wein knapp, der aus Kelchen genippt wurde. Gleichzeitig ging die Angst vor Seuchen um. Die hygienische und sparsame Lösung mit Wein beträufelte Hostien, wie sie per Feldpost schon an die Soldaten gingen. Das praktizierte Stammapostel Hermann Niehaus ab Karfreitag 1917. Verbindlich für die gesamte Kirche wurde es 1919.

Woher Brot und Wein fürs Abendmahl nehmen? Da gab es längst Erfahrungen – und so etwas wie einen kircheneigenen Marktplatz in Deutschland: die Inserate in der hochoffiziellen Zeitschrift „Neuapostolische Rundschau“. Eine „vorzügliche Qualität Rotwein“ hielt da etwa ein Carl Ehrler aus Plauen „allen Vorstehern“ feil. Abendmahlgeräte und Hostien hatte hingegen Ewald Dissel aus Ruhrort im Angebot – nebst Zigarren und Schreibwaren.

Von der Pipette zum Apparat

Schwieriger war es da schon, die drei Tropfen Wein auf eine ausreichende Menge an Hostien zu bringen. Betagte Kirchenmitglieder erinnern sich heute noch gut daran, wie sie als Kind mit der gesamten Familie zu Tisch saßen, um Hostien für eine mehrere Hundert Seelen starke Gemeinde vorzubereiten – Tropfen um Tropfen per Pipette.

Eine erste Erleichterung bot der Bickelmannsche Hostientupfer, eine Art Stempelgerät, das ein Gemeindemitglied aus Göppingen konstruiert hatte. „Am besten ist, man kauft ein kleines Fläschchen guten Rotwein und tupft damit einige tausend Hostien“, empfahl Apostel Johann Gottfried Bischoff per Rundschreiben den Amtsträgern. „Bemerken will ich hierbei, dass es am besten ist, die Hostien beim Betupfen auf ein weißes Tuch oder reines weißes Löschpapier zu legen, weil bei anderen Unterlagen die Hostien leicht ankleben“, so seine Bedienungsanleitung.

Von der Sekretärin zur Chefin

In Richtung Professionalisierung ging die Beschaffung, als sich der Bäckermeister Max Pflug, Priester in der Gemeinde Herne, 1925 aufs Hostienmachen spezialisierte. Der Teig wurde noch von Hand gerührt und in einer Art überdimensionalem Waffeleisen gebacken. 1931 übernahm die Kirche seinen Betrieb und Helene Herterich, die Sekretärin des Stammapostels, dessen Leitung. Am neuen Standort Bielefeld entstand die kircheneigene Hostienbäckerei, wie es sie heute noch gibt: Die erste Inlandslieferung ging ins Rheinland, der erste Export nach Australien.

Neue Schwierigkeiten brachte der Zweite Weltkrieg – Wein und Mehl gab’s nur per Bezugsschein. Und dafür musste Helene Herterich aufs Amt nach Unna: 6 Uhr los, vier Stunden Zugfahrt, Scherereien mit den Beamten um angeblich versandte Scheine, der Zug zur Rückfahrt um 21 Uhr überfüllt, Warten auf den Güterzug bis 23 Uhr, damit stehend heimwärts. „Gegen 8 Uhr traf ich in Bielefeld ein“, berichtete sie: „Das war eine Strapaze!“

Aus Bielefeld in die ganze Welt

Mit der Kirche wuchs die Hostienbäckerei: Von einem Jahresausstoß von anfangs 9,7 Millionen Hostien bis zum Spitzenwert von 238 Millionen im Jahr 2001. Ein wichtiger Meilenstein war die erste automatische Backstraße 1979, eine von Fachleuten begleitete Eigenkonstruktion. Auch wenn die Maschine am Ende doppelt so schnell lief wie technisch vorgesehen: Bereits 1990 musste ein leistungsfähigerer Nachfolger her.

Um für die größten Abnehmer vor Ort günstiger produzieren zu können, entstanden 2003 in Kapstadt (Südafrika) und 2012 in Lusaka (Sambia) weitere kircheneigene Hostienbäckereien – mit Unterstützung der Profis aus Bielefeld. Während die Produktion in Afrika halbautomatisch läuft, steht in einer weiteren, kleinen Bäckerei in Indien die Handarbeit im Vordergrund. Ebenso wie bei den ersten Tests in Hongkong vor zwei Jahren.

„Wirklich eine interessante Technologie, die drei Tropfen auf die Hostien zu bekommen“, lautete das Fazit in Südostasien. Tatsächlich hat der Produktionsprozess so seine Tücken. Doch das ist eine andere Geschichte, die demnächst erzählt wird...


Weitere Informationen über die Geschichte der Kombi-Hostie und die Hostienbäckerei Bielefeld finden sich beim Zentralarchiv der Neuapostolischen Kirche Nordrhein-Westfalen.

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