Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr habt mich besucht
Eine besondere Form der Seelsorge bot Priester Andreas Breitkreuz aus dem Bezirk Bochum den Insassen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Bochum an. Dort betreute er insbesondere inhaftierte Mitglieder der Neuapostolischen Kirche.
Priester Breitkreuz, Sie sind für die Seelsorge von JVA-Insassen innerhalb der Gebietskirche Westdeutschland zuständig. Wie kam es dazu?
Im Bezirk Bochum betreuen wir seit über 20 Jahren die Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt. Da hin und wieder das Problem des Nachwuchses bei den Gefängnis-Seelsorgern auftritt, haben mich vor 15 Jahren die drei damals in der JVA-Seelsorge aktiven Brüder angesprochen und mich gefragt, ob ich nicht Interesse an der Seelsorge für JVA-Insassen habe. Der Bezirksälteste in Ruhe Albrecht nahm mich dann mit zu einem Gottesdienst im Gefängnis. Es war der Sonntag vor einem Gottesdienst für die Entschlafenen.
Schildern Sie bitte Ihr Empfinden, als Sie das erste Mal das Gefängnis betreten haben.
Auch wenn mich mehrere Geschwister begleiteten, bekam ich dennoch Bedenken. Wir waren ungefähr 20 Geschwister, zusammen mit Chor, Orgelspieler, Dirigent, Dienstleiter und Mitdienendem. Als wir in dem Gebäude waren, schlossen sich die Türen hinter uns. Das war so bedrückend, wie man das aus dem Fernsehen kennt. Dabei bekam ich schon ein mulmiges Gefühl.
Sie haben sich also entschlossen, als Seelsorger in der JVA mitzuwirken. Wie kann man sich diese besondere Form der Seelsorge vorstellen?
Es gibt mehrere Seelsorge-Gruppen in der JVA, die von Ehrenamtlichen betreut werden. Das sind Menschen mit einer speziellen Ausbildung oder Seelsorger oder Laien von unterschiedlichen Kirchen. Zudem gibt es Bibelgruppen. Es gibt also viele Möglichkeiten für die Gefangenen, um sich seelsorgerlich betreuen zu lassen.
Unsere Kirche hat dienstags eine Gesprächsgruppe angeboten, zu der sich die Gefangenen extra bei der neuapostolischen Kirchengruppe anmelden mussten. Im Gespräch sind wir auf unseren Glauben eingegangen und haben Fragen beantwortet. Hier konnten die Insassen, die Interesse hatten, eine Bibel von uns bekommen. Weiter boten wir einmal im Monat einen Gottesdienst an.
Welche Taten haben die Insassen der JVA Bochum begangen?
Die Insassen der JVA Bochum wurden verurteilt wegen Bankraub, Mord, Völkermord, Vergewaltigung, Kindesmissbrauchs, Finanzbetrugs und wegen vieler anderer schwerer Straftaten. Auch Drogendealer sind darunter. Alle Formen der Kriminalität, die Sie sich vorstellen können, begegnen Ihnen dort.
Das hört sich für einen Außenstehenden nicht ganz einfach an! Vor welchen Schwierigkeiten stehen Sie in der Seelsorge?
Die seelsorgerliche Arbeit ist kräftezehrend. Es ist eine andere Form der Seelsorge, als wenn jetzt Schwester Müller, Meier, Schulze zu mir kommt und ihr Herz ausschüttet. Da habe ich eine andere Gesprächsebene, andere Übereinstimmungen in den Grundwerten des Glaubens, als wenn ein völlig fremder Mensch mit anderen Grundwerten und Glaubensüberzeugungen vor mir sitzt. Sofern er neuapostolisch ist, geht die Seelsorge noch relativ gut. Ist er Christ einer anderen Konfession, wird es vielleicht etwas schwieriger. Aber wenn der Gesprächspartner gar nicht an Gott glaubt, fällt Seelsorge schon sehr schwer.
In diesem Gefängnis gibt es viele Insassen aus anderen Kulturkreisen. Dabei trifft man auf andere Mentalitäten, andere Interessen, andere Glaubensrichtungen, andere Einstellungen zum Leben und einen anderen Werte-Hintergrund. Viele wollen in der Gruppe irgendetwas anderes machen, als gerade in unsere christlichen Gruppenstunden zu gehen. Sie wollen sich nicht so sehr über unseren Glauben und über unsere Zukunft unterhalten. Über das, was passiert, wenn der liebe Gott sagt: „Ich sende meinen Sohn!“ Das können diese Menschen kaum verstehen. Es wird dann schwierig, ein Gespräch zu führen, wenn man nicht einmal über die Grundlagen des christlichen Glaubens mit den Insassen reden kann.
Erzählen Sie bitte, was Sie in der Seelsorge-Arbeit erlebt haben.
Ein Erlebnis war, als wir die Zeitschrift „Unsere Familie“ dort verteilten. Damals ging ein Aufschrei durch die Neuapostolische Kirche, als ein Gefangener im Gerichtssaal die Zeitschrift „Unsere Familie“ vor sein Gesicht hielt. Er versteckte sich dahinter vor dem Blitzlichtgewitter der Reporter. Dann wurde dazu eine Erklärung in der Zeitschrift „Unsere Familie“ veröffentlicht. Dort stand, dass wir Seelsorgearbeit in der JVA machen. Das war vor meiner Zeit. 20 Jahre ist das, glaube ich, her. Bei unserer Arbeit haben wir aber immer den früher eingehefteten Anzeigenteil herausgenommen, in dem zum Beispiel die Kontaktanzeigen standen. Einmal hatte ich mein eigenes Heft mitgenommen und das gab ich einem unserer Glaubensbrüder. Dabei vergaß ich aber, diesen Anzeigenteil herauszunehmen. Nachdem er dieses Heft „Unsere Familie“ gelesen hatte, schrieb er an eine Glaubensschwester, die dort inseriert hatte. Er lernte sie dann durch diesen Briefkontakt kennen und sie begannen sich zu lieben. Als er aus dem Gefängnis durfte, kam er auf mich zu und fragte: „Hör mal, Andreas, kannst du unser Trauzeuge sein?“ Ich sagte: „Gerne, das mache ich.“ So fuhr ich an einem Sonntag mit meiner Frau nach Bonn und wir haben die Hochzeit zusammen erlebt. Ich leitete den Gottesdienst und führte die Trauung durch. Das war etwas Besonderes.
Eine ausführliche Version dieses Interviews erschien im Kalender „Unsere Familie“, Ausgabe 2021
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Tatjana Fröhlich
15.11.2022
Soziales Engagement,
Persönlichkeiten