Ernst Güttinger – Aufstieg und Ausstieg

Vor 70 Jahren, am 5. August 1951, setzte ihn der damalige Stammapostel Johann Gottfried Bischoff in den Ruhestand. Heute wäre Ernst Güttinger 144 Jahre alt. Wer war dieser Mann, über den ein so geteiltes Echo nachzulesen ist?

Dübendorf ist ein kleines Dorf etwas außerhalb von Zürich (Schweiz). Dort erblickte Ernst Güttinger am 19. August 1877 das Licht der Welt. Solche Herkunftsbezeigungen spielen in der Biografie eines Menschen manchmal eine Rolle. So schreibt Ernst Güttinger, nachdem er zum Apostel ordiniert worden war, in seinem Lebenslauf über die Jahre seiner Kindheit: „Meine Eltern waren einfach, fleißig und gottesfürchtig. Dementsprechend erzogen sie uns Kinder.“ Seine Mutter starb, als er 12 Jahre alt war. „Dadurch wurden meine Lebensverhältnisse in einschneidender Weise geändert, und noch vor meiner Konfirmation musste ich auf eigenen Füßen stehen.“

Der erste neuapostolische Schweizerbürger

Den ersten neuapostolischen Gottesdienst, den er besuchte, hielt Stammapostel Friedrich Krebs – 1895 war das. Als einer der ersten Schweizerbürger empfing der 18-Jährige am 3. Mai 1896 das Sakrament der Heiligen Versiegelung, und im Herbst desselben Jahres wurde er durch Apostel Sebastian in das Amt des Unterdiakonen ordiniert. „Im Frühjahr des Jahres 1900 sandte mich der spätere Apostel Bock nach Schaffhausen, damit ich dort eine Gemeinde gründe. Das war eine große Aufgabe. Ich hielt mich nicht dazu für fähig, aber im Glaubensgehorsam und Vertrauen führte ich den Auftrag aus. Brüder aus Zürich unterstützen meine Arbeit, und so wuchs die Gemeinde mit Gottes reichem Segen ziemlich rasch.“ Güttinger wurde ihr erster Vorsteher.

Apostelamt – Bezirksapostelamt

1923 sonderte ihn der damalige Stammapostel Niehaus zum Apostel aus. Nachdem 1933 der Schweizer Bezirksapostel August Hölzel gestorben war, übertrug Stammapostel Johann Gottfried Bischoff am 14. Februar 1933 die Verantwortung für den Apostelbezirk Schweiz dem Apostel Ernst Güttinger. Dazu gehörten lange Zeit auch die Gemeinden in Frankreich, Luxemburg und Österreich. Seine Zeitgenossen beschrieben ihn als einen weisen, sachlichen und nüchternen Menschen. 18 Jahre später kam es zum Eklat.

Zerwürfnisse

Gegen seinen Willen versetzte Stammapostel Bischoff am 5. August 1951 den 74-jährigen Bezirksapostel Ernst Güttinger zusammen mit dem Apostel Rudolf Schneider sen. in den Ruhestand. Beide hatten sie die inzwischen für Apostel bestehende Altersgrenze überschritten. Diese war erst im März 1951 durch eine Apostelversammlung auf 70 Jahre festgesetzt worden. Offenbar musste sich später Stammapostel Bischoff in einer Amtsträgerversammlung in Zürich dafür rechtfertigen, die Apostel mit Ablauf der Regelarbeitszeit in den Ruhestand versetzt zu haben – so jedenfalls erzählen es die Aufzeichnungen. Das Pikante daran: Ernst Güttinger war selbst jahrelang für eine Amtszeitbegrenzung des Stammapostels und der Apostel eingetreten.

Bischof Ernst Eschmann wurde sein Nachfolger. Ernst Güttinger hatte sich in mehreren Briefen an den Stammapostel ausdrücklich gegen diese Nachfolge ausgesprochen und stattdessen seinen Sohn Otto vorgeschlagen. Und nachdem nur eineinhalb Jahre später der Bezirksapostel Eschmann starb und Ernst Streckeisen als neuer Bezirksapostel ordiniert wurde, kamen die Entzweiungen ans Licht.

Die gab es gleich in mehrfacher Hinsicht: in einigen Lehrauffassungen oder auch im Streit um Personalveränderungen im damaligen Saarland. Dort zeigte die saarländische Kirche seit einiger Zeit Tendenzen in eine Eigenständigkeit. Stammapostel Bischoff beauftragte dagegen die Apostel aus der Schweiz mit der Leitung des saarländischen Apostelbezirks. Das führte nach und nach zu großer Unruhe: Die Schweizer Apostel wurden aus dem Saarland zurückgerufen, rund 4000 Mitglieder aus den saarländischen Gemeinden ausgeschlossen. Der neue französische Apostel Chrétien Dauber übernahm die Leitung im Saarland.

Amtsenthebung, Ausschluss, Entfremdung

Im Juni 1954 wurde zunächst der Schweizer Apostel Otto Güttinger seines Amtes enthoben und aus der Neuapostolischen Kirche ausgeschlossen – sein Vater folgte ihm nach. Gemeinsam gründeten sie die Vereinigung Apostolischer Christen in der Schweiz, mit anfänglich 1000 Anhängern. Im September 1954 schlossen sie sich mit den ausgeschlossenen saarländischen Kirchenmitgliedern zusammen und übernahmen als ranghöchste Geistliche die Führung.

Was einst zusammengehörte, entfernte sich voneinander – mancherorts im heftigen Streit.

Versöhnung nach 50 Jahren

Diese Jahrzehnte alten Gräben zuzuschütten, kosteten Mut und Beharrlichkeit, die sich aber lohnten. Im April 2005 unterschrieben die Neuapostolische Kirche Schweiz und die Vereinigung Apostolischer Christen Schweiz eine gemeinsame Versöhnungserklärung . Darin werden die „erheblichen Kontroversen“ bedauert. Diese Spaltung habe „tiefes Herzeleid, großen Kummer und materiellen Schaden in viele Familien und Gemeinden“ gebracht. Als Gesten der Versöhnung entschuldigte sich die Leitung der Neuapostolischen Kirche Schweiz bei den Betroffenen „für die in jener Zeit getroffenen Fehlentscheide und das mancherorts praktizierte unchristliche Verhalten in unsachlichen Aktionen und Reaktionen einiger ihrer Mitglieder.“ Außerdem wurden die „seinerzeit in diesem Zusammenhang verfügten Kirchenverbote und Ausschlüsse mit sofortiger Wirkung“ aufgehoben.

Auch die Leitung der Vereinigung Apostolischer Christen Schweiz entschuldigte sich „für die durch einige ihrer Mitglieder erfolgten Fehlreaktionen im Rahmen der seinerzeitigen Auseinandersetzungen“. Das gemeinsame Dokument endet mit dem Satz: „Mit den Worten des Apostels Paulus bitten wir alle Geschwister ganz herzlich: ‚Lasst euch versöhnen mit Gott!‘ (2. Korinther 5, aus 20).“


Foto: NAK Westdeutschland Zentralarchiv

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