Gegen Gewalt und sexuelle Übergriffe

Es ist ein gesellschaftliches Thema, das auch vor den Kirchen nicht Halt macht. Doch jeder soll wissen: Die Neuapostolische Kirche verurteilt Gewalt und sexuelle Übergriffe aufs Schärfste. Sie verletzen die Persönlichkeit und die Würde des Menschen.

Es ist gewiss von Vorteil, wenn bereits in der Vorbeugung viel getan wird, damit es erst gar nicht zu Einzelschicksalen mit oft lebenslangen und lebensbedrohlichen Beeinträchtigungen kommt. Denn jeder Fall ist ein Fall zu viel! Darüber sind sich alle einig. „Achtsamkeit“ heißt denn auch das Konzept, das die neuapostolische Gebietskirche Süddeutschland in den letzten Jahren entwickelt hat. Dieser zunächst eigenartig klingende Begriff soll deutlich machen, wie der Umgang mit anderen Menschen gestaltet sein soll, nämlich aufmerksam, sorgsam, voller Respekt und Achtung. Und „achtsam“ zu sein gilt auch für die eigene Person: Schütze dich davor, in Situationen zu geraten, die missverständlich ausgelegt werden können!

Ein Gesamtkonzept aus vielen Einzelteilen

Soviel zur Theorie. Wie sieht das in der Praxis aus? Der Leiter der Neuapostolischen Kirche Süddeutschland, Bezirksapostel Michael Ehrich, macht dazu feste Vorgaben. Er und eine vor Jahren gegründete Arbeitsgruppe haben viele verschiedene Unterlagen und Einzelschritte in eine Konzeption gegossen: Elternbrief, ganztägige Workshops mit einem Theaterstück zur Veranschaulichung des Themas, einen Verhaltenskodex, einen Leitfaden zum Vorgehen, wenn angenommen werden muss, dass doch etwas passiert ist, ein sogenanntes „Erweitertes Führungszeugnis“ für Amtsträger, Lehrkräfte und Jugendbetreuer/-innen, Schulungen von Multiplikatoren und Moderatoren für regelmäßige Bezirksveranstaltungen und vieles mehr. Es soll niemand denken, das Thema wäre einfach!

Ein Thema von hoher Bedeutung

In der Frühjahrssitzung der weltweiten Bezirksapostelversammlung in Goslar gab Bezirksapostel Ehrich seinen Brüdern einen tiefgehenden Überblick über die einzelnen Bausteine der Konzeption und berichtete detailreich von den bisherigen Erfahrungen. Nicht Appelle oder Flyer allein reichten. Es gehe um die innere Haltung, darum, ein Bewusstsein zu schaffen für einen achtsamen Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Dazu brauche es eine umfangreiche und regelmäßige Unterweisung, so der Kirchenleiter. Amtsträger, Lehrkräfte, alle Funktionsträger in Kirchenbezirken und Gemeinden, die bei ihren kirchlichen Aufgaben Kontakt mit Kindern und Jugendlichen haben – sie alle sind Zielgruppe für ein Denken, für einen Handlungsrahmen, der seit gut zehn Jahren in der Gebietskirche abgesteckt ist und stetig weiterentwickelt wird.

Selbstverpflichtung und Führungszeugnis

Dazu gehört etwa die Unterschrift unter eine Selbstverpflichtung, den Verhaltenskodex. Alle Amtsträger, Kinder- und Jugendbetreuer/-innen, alle Chor- und Orchesterleiter/-innen bekunden damit, sich im Einklang mit der Konzeption verantwortungsvoll zu verhalten und gegen Grenzverletzungen, sexuellen Missbrauch und Gewalt in jeglicher Form anzugehen.

Für den Bezirksapostel, die Apostel und Bischöfe, für Bezirksvorsteher und Gemeindevorsteher sowie deren Stellvertreter gilt seit 2016 sogar das Erweiterte Führungszeugnis (EFZ). Und ab 2017, nachdem der erste Durchgang der Veranstaltungen in den Kirchenbezirken beendet war, wurden nach und nach alle aktiven Amtsträger, Lehrkräfte und Jugendbetreuer/-innen zur Abgabe des EFZ aufgefordert. Neue Amtsträger müssen es im Zusammenhang mit ihrer Erstordination und neue Lehrkräfte und Jugendbetreuer/-innen bei Beginn ihrer Arbeit vorlegen.

Das Erweiterte Führungszeugnis unterscheidet sich vom „einfachen“ Führungszeugnis dadurch, dass auch Verurteilungen wegen Verletzungen der Fürsorge- und Aufsichtspflicht, wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen eingetragen sind. Rund 8000 dieser Führungszeugnisse wurden bislang eingeholt. Laufend kommen neue hinzu. Aus Datenschutzgründen werden sie nicht bei der Kirche abgegeben, sondern bei einem externen Rechtsanwalt. Der prüft das EFZ auf etwaige Einträge auf der Grundlage des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Gibt es einen Eintrag hinsichtlich sexueller Übergriffe, informiert er darüber ausschließlich den Bezirksapostel. Dieser sorgt dafür, dass die betreffende Person innerhalb der Kirche keine Aufgabe mehr erfüllt, bei der sie mit Kindern und Jugendlichen Kontakt hat. Weitere Schritte behält sich der Bezirksapostel vor.

Und falls doch?

Bei aller Achtsamkeit: Was tun, wenn es doch zu einem Vorfall gekommen ist? Denn eins ist den Verantwortlichen auch klar: Es geht nicht nur um Prävention, also das Verhüten von Vorkommnissen, sondern leider auch dann und wann um die Intervention, um das rasche und richtige Handeln nach einem Vorfall. Dazu gibt es in allen Gemeinden der Gebietskirche einen Leitfaden für den Fall der Fälle: Er beschreibt sehr ausführlich die Schritte bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen – vom Beobachten bis zum Melden beim Jugendamt und der Anzeige bei der Polizei. Darin enthalten sind auch Kontaktadressen zu externen qualifizierten Fachkräften und überregionalen Hilfsorganisationen. Zudem besteht innerkirchlich ein „Gremium im Fall sexueller Übergriffe“.

Die Webseite der Neuapostolischen Kirche hat dieses Thema aufgegriffen, gibt Erfahrungen und Erkenntnisse weiter.

Um das Thema in der angemessenen Tiefe aufzuarbeiten, stand Bezirksapostel Michael Ehrich zu einem ausführlichen Interview vor der Kamera von nac.today. Wir werden in diesem Magazin darüber berichten.

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Peter Johanning
15.08.2019
Struktur, Gemeindeleben