Seelsorge (6): Vertrauen braucht Raum

Kinder sind unsere Zukunft – dieser Satz stimmt nicht nur, er muss auch überprüfbar sein. Das gilt auch für die kirchliche Seelsorge, die zwar vertraulich, aber nicht geheim stattfinden soll. Ein hohes Maß an Achtsamkeit ist gefordert, bei allen Beteiligten.

Beispiele für Grenzüberschreitungen gibt es genug, leider! Das beste Mittel dagegen ist ein hohes Maß an Bildung, das zugleich Bewusstsein schafft und Achtsamkeit einfordert. Männer wie Frauen, die in der Seelsorgearbeit in ihrer Gemeinde eingebunden sind, brauchen diese Bildung. Sie müssen wissen, dass Achtsamkeit bei jeglicher Arbeit das Mittel der Wahl ist. Wer achtsam ist, weiß Bescheid und dient im kirchlichen Einsatz im Sinne des Herrn Jesus Christus.

Achtsamkeit, was ist das?

Etliche Gebietskirchen haben Konzepte zur Achtsamkeit in der Seelsorge aufgelegt. Die theoretischen Grundlagen sind klar. Achtsamkeit ist mehr als Aufmerksamkeit. Sie soll zum Ausdruck bringen, dass die handelnden Menschen ein erhöhtes Interesse am Wohlergehen ihrer Schutzbefohlenen haben. Echtes Vertrauen lässt sich nur in stressfreien, konfliktfreien Umgebungen erreichen. Diese Bedingung muss auch die kirchliche Seelsorge erfüllen. Sie soll Stress verhindern und Konflikte lösen, nicht neue Konflikte entstehen lassen. So betrachtet, ist Achtsamkeit keine psychologische oder erziehungswissenschaftliche Kategorie allein, sondern der Ansporn, das Evangelium mit seiner ganzen, wohltuenden Wirkung zu vertreten.

Am Anfang steht die Prävention

Das Kind muss nicht erst in Brunnen fallen. Prävention ist die Verhinderung des Ernstfalls. In einem Elternbrief zur Prävention sexueller Gewalt an Kindern heißt es, dass Vorbeugung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt. Wörtlich heißt es: „Sexuelle Gewalt an Kindern ist ein Kriminalitätsphänomen, welches bedauerlicherweise in allen Völkern, Kulturen, Bildungs- und Bevölkerungsschichten auftritt. Dies betrifft Kinder neuapostolischer Familien gleichermaßen.“ Zur Vorbeugung gehören zum Beispiel solche „einfachen“ Merksätze, wie:

  • Kinder dürfen „nein“ sagen, das ist zu respektieren.
  • Es braucht eine Vertrauenskultur auf Augenhöhe.
  • Bedürfnisse der Kinder sind ernst zu nehmen.

Grenzüberschreitungen haben Langzeitfolgen

In den entsprechenden Leitlinien heißt es demzufolge, dass die Neuapostolische Kirche keine sexuellen Übergriffe toleriert, weder im privaten und schulischen noch im kirchlichen Bereich. Alle Lehrkräfte und Seelsorger der Kirche sind über die strafrechtlichen Folgen sexueller Übergriffe belehrt. Sie unterschreiben ein Dokument vor ihrer Ordination oder Beauftragung/Ernennung als Lehrkraft. In vielen Gebietskirchen steht Betroffenen außerdem ein Gremium mit fachlicher und seelsorgerischer Kompetenz beratend zur Verfügung.

Den Ernst der Lage versteht nur der, der sich die möglichen Konsequenzen einer Grenzverletzung vor Augen führt: Sexualisierte Gewalt kann zu psychischen Traumatisierungen und zur Verletzung des Körpers führen, die zu dauerhaftem Leid und lebenslangen Spuren in der Erinnerung und Erlebnisfähigkeit führen können. Posttraumatische Belastungsstörungen, Persönlichkeitsstörungen, dissoziative Störungen, Beziehungsstörungen – die Liste der Krankheitsbilder ist lang.

Achtsamkeitsmuster

Achtsamkeit beginnt vorn, nicht erst, wenn es zu spät ist. Viele selbstverständlich scheinende Verhaltensmuster gehören in den Katalog einer Vorbeugungsliste:

  • keine anzüglichen Bemerkungen oder gar Witze mit sexuellem Bezug
  • keine Grenzüberschreitungen durch Blicke, die zu intensiv (starkes Fixieren) oder „musternd“ sind (bis hin zum „Mit-den-Augen-Ausziehen“)
  • keine noch so gut gemeinten Körperkontakte und Berührungen
  • aktiv und eindeutig Stellung beziehen gegen sexistisches, diskriminierendes und gewalttätiges Verhalten

In vielen neuapostolischen Gebietskirchen sind Konzepte und Papiere zur Achtsamkeit aufgelegt worden. Hier einige weiterführende Links:


Im nächsten Teil unserer Serie zum Thema Seelsorge geht es um kirchliche Unterrichte.

Foto: Gajus - stock.adobe.com

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Peter Johanning
17.09.2020
Gemeindeleben